Blauäugig: Zum Antirassismustraining von Jane Elliott

Ich bin auf Jane Elliott gestoßen, als ich Kaddas Blogpost zu Noah Sow las. Jane Elliott wurde dort in den Kommentaren erwähnt.

Nun sind die Diskussionen um Noah Sow zum Glück lange vorbei, jeder und jede weiß, wo sie oder er steht, und auch, wo alle anderen stehen. Ich weiß es auch, und im Grunde bin ich zu Überzeugungen zurückgekehrt, die ich schon seit langem habe: Im Kampf des GUTEN gegen das BÖSE sind nicht alle Mittel recht.

(Und, ja, ich halte Ausschau nach Texten über antirassistische Arbeit, die ich gut finde. Dies wird der vorletzt letzte kritische Artikel über eine Form von antirassistischer Arbeit sein.)

Ich bin also in den Kommentaren auf Links zu den Filmen von Jane Elliott gestoßen, deren Aktivitäten gegen Rassismus von allen Beteiligten gelobt wurden. Ich erinnerte mich daran, in der Schule von ihr gehört zu haben (aber nicht an ihren Namen): Sie hatte eine Klasse in Bläuäugige und Braunäugige unterteilt, erklärt, dass die eine Gruppe der anderen überlegen sei, und innerhalb kürzester Zeit die Übernahme der von ihr propagierten Stereotype und die Diskriminierung der „unterlegenen“ Gruppe beobachtet. In meiner Erinnerung hat es sich um ein Experiment gehandelt. In den Sechzigern und Siebzigern waren solche Experimente häufig (etwa das Milgram-Experiment oder das Stanford-Prison-Experiment), aber seither sind sie wegen ethischer Probleme und wegen der Frage nach der Übertragbarkeit auf reale Situationen seltener geworden.

Als ich mir den Film ansah, musste ich zunächst umdenken: Es handelte sich nicht um ein Experiment, sondern um ein sogenanntes Antirassismustraining. Es ging nicht darum, etwas herauszufinden, sondern die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sollten etwas lernen. Nachdem mir das klar geworden war, begann ich mir die Augen zu reiben über das, was ich in den Filmen sah.

Hier sind zunächst die Links zu den Filmen (jeweils nur zum ersten Teil, unten sind dann die vollständigen Links und ein paar Literaturtipps.)

Blue Eyed – Blauäugig Jane Elliott: Der „Klassiker“ unter ihren Filmen, mit einer Dokumentation eines ihrer Workshops.

Brown eyes and blue eyes (Adult Session) – Jane Elliott Film über einen Workshop mit Mitarbeitern einer Justizvollzugsanstalt.

„The Angry Eye“ | part 1 | Brown Eye-Blue Eye Experiment Bericht über einen Workshop mit Studierenden

„How Racist Are You?“ | part 1 | Jane Elliott’s Brown Eye-Blue Eye Experiment Bericht über einen Workshop in Großbritannien

Der Ablauf eines Antirassismustrainings von Jane Elliott

Das Grundkonzept eines solchen Antirassismustrainings besteht darin, dass die Seminargruppe in „Blauäugige“ und „Braunäugige“ unterteilt wird, wobei sich die Unterteilung zwar an der tatsächlichen Augenfarbe orientiert, sich aber nicht sklavisch daran festmacht, und dass während des Seminars die „Blauäugigen“ die unterdrückte Gruppe sein werden, während Jane Elliott und die „Braunäugigen“ die Mehrheitsgesellschaft darstellen. Ich fasse nun den Ablauf eines solchen Seminars zusammen, wie er sich aus Sicht der „Blauäugigen“ darstellt:

Die „Blauäugigen“ kommen an, werden teilweise schon bei der Registrierung schikaniert und dann mit grünen Krägen versehen. Ohne Erklärung werden sie in einen Raum geführt, der heiß und stickig ist und in dem zu wenig Stühle stehen. (Im Film Brown eyes and blue eyes (Adult Session), Minute 0:23, wird ausdrücklich gesagt, dass der Gruppe nur mitgeteilt wurde, dass ein eintägiger Workshop stattfinden würde.) Nachdem sie eine Weile gewartet haben, werden sie in den eigentlichen Seminarraum gelassen, wo die Braunäugigen schon seit einer Weile warten. In der Mitte sind ein paar Stühle freigelassen worden, es sind aber auch hier zu wenige, so dass einige von ihnen auf dem Boden sitzen müssen.

Den Blauäugigen werden nun einige Aufgaben gestellt. Zum Beispiel müssen sie Sätze vorlesen, die an der Wand hängen („The Angry Eye“ part 1), sie müssen einen Intelligenztest beantworten, und sie müssen etwas über „Listening Skills“ lernen. Der Intelligenztest ist manipuliert, so dass sie ihn nicht bestehen können, und die Listening Skills widersprechen einander teilweise (mitschreiben und die Person ansehen, die spricht, Blue Eyed – Blauäugig, Minute 43:10). Dennoch müssen die „Blauäugigen“ sie aufschreiben, wobei die Regeln so schnell diktiert werden, dass es unmöglich ist, die Sätze korrekt aufzuschreiben (Blue Eyed – Blauäugig, Minute 36:10).

Die „Lernsituation“ ist also absichtlich so angelegt, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen Fehler machen müssen. Diese Fehler, seien es Kommafehler oder das (unausweichliche) Brechen einer der Regeln der „Listening Skills“, werden von Jane Elliott als Anlass genutzt, die betroffenen Personen harsch zu kritisieren. Sie geht dabei so vor, dass sie sich eine Person herauspickt und sie vor der ganzen Gruppe bloßstellt (etwa hier: Brown eyes and blue eyes (Adult Session), Minute 4:00). Geschickt findet sie einen Aspekt des Verhaltens der betroffenen Person, der ihr eine Angriffsfläche bietet, und treibt dann die Person in die Enge, bis sie in Tränen ausbricht.

Auch Personen, die gegen die ihnen widerfahrene Behandlung protestieren, werden bloßgestellt. Ihnen und der ganzen Gruppe wird verdeutlicht, dass ihr Protest unangebracht ist. In Ausnahmefällen verlassen die betroffenen Personen das Seminar (etwa die Frau mit dem Stirnband in „The Angry Eye“), aber meistens bleiben sie. In mehreren Filmen brechen Teilnehmer oder Teilnehmerinnen in Tränen aus, und in keinem der Filme werden diejenigen, die zu weinen beginnen, irgendwie aufgefangen, sondern ihre Tränen sind Anlass, sie weiter zu verspotten. Ihnen wird erklärt, dass das, was sie gerade durchgemacht haben, nichts ist im Vergleich zu der physischen Gewalt, die andere Menschen durchmachen (Beispiel: „The Angry Eye“ part 1, Minute 12:05.)

Am Ende werden die Seminarteilnehmer entlassen mit ein paar Worten, die sie daran erinnern, dass die meisten von ihnen nun nicht mehr unterdrückt sein werden – dass das aber nicht für alle gilt.

Ein Rollenspiel, das keins ist

Eine solche Behandlung ist nicht das, was man erwartet, wenn man an einer Fortbildung oder an einem Seminar zu sozialen Kompetenzen teilnimmt. Normalerweise erwartet man einen einigermaßen erholsamen Nachmittag (erholsamer als Arbeit oder gewöhnliche Seminare), wo Spielchen gespielt und bunte Moderatorenkärtchen an Pinnwände geklebt werden, aber nicht, dass Menschen gezielt zum Weinen gebracht werden. Eventuell erwartet man ein Rollenspiel – aber kein solches.

Jane Elliots Grundidee besteht darin, dass die Blauäugigen durch die Behandlung, die ihnen widerfährt, erleben sollen, wie es ist, in dieser Gesellschaft als Farbiger oder Angehöriger einer anderen diskriminierten Gruppe zu leben. Sie zitiert ein indianisches Sprichwort: „Oh Großer Geist, bewahre mich davor einen anderen Menschen zu beurteilen, bevor ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gelaufen bin.“ (Zu finden zum Beispiel hier: Zum Trainingskonzept von Jane Elliott.) Sie hofft, dass Menschen durch diese Erfahrung ihre Einstellungen und ihr Verhalten ändern werden.

Man könnte ihr Konzept also als Rollenspiel betrachten: Die Blauäugigen nehmen die Rolle der Farbigen in unserer Gesellschaft ein, die Braunäugigen die Rolle der Weißen. (Ein Problem besteht allerdings darin, dass de facto die Braunäugigen in erster Linie als Zuschauer und Verstärker Jane Elliotts dienen.)

Normalerweise wäre Jane Elliotts Verhalten als Verhalten einer Seminarleiterin inakzeptabel (und auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass andere Menschen in unserer Gesellschaft noch viel schlimmer misshandelt werden.) Im Rahmen eines Rollenspiels sind aber Verhaltensweisen ethisch vertretbar, die es außerhalb des Rollenspiels nicht wären. Ich selbst habe schon in einem Seminar über Bullying im Rollenspiel die Rolle des Bullies eingenommen, oder im Selbstverteidigungskurs die Rolle des Belästigers. Damit ein Rollenspiel ethisch vertretbar ist, müssen jedoch einige Bedingungen erfüllt sein, zum Beispiel:

  • Eine klare Grenze zwischen Spielsituation und realer Situation
  • Freiwillige und informierte Übernahme von Rollen
  • Möglichkeit, das Spiel abbrechen zu können, wenn es zu viel wird.
  • Sicherheit, dass auch im Spiel bestimmte Grenzen nicht überschritten werden
  • Sicherheit, dass sowohl die Seminarleiterin als auch die anderen Teilnehmer es gut mit einem meinen, selbst dann, wenn sie im Rollenspiel die Rolle des „Bösen“ übernommen haben.
  • Sicherheit, dass die Seminarleiterin das Spiel beobachtet und abbricht, wenn es zu viel wird.

(Dies sind Bedingungen, die mir eingefallen sind; ich habe sie jetzt nicht einer Leitlinie für Rollenspiele entnommen, sondern meiner eigenen Erfahrung in solchen Seminaren.)

Jane Elliott bricht praktisch alle diese Regeln. Die TeilnehmerInnen werden nicht informiert, was sie erwartet, sie werden von Jane Elliott in Gruppen eingeteilt, anstatt dass sie sich aussuchen, welcher Gruppe sie angehören wollen, es werden keine Grenzen eingehalten. (Normalerweise sollte ein Rollenspiel abgebrochen werden, wenn einer der Beteiligten in Tränen ausbricht.)

Vor allem aber wird die Grenze zwischen Spielsituation und realer Situation (Leiprecht und Lang nennen sie Meta-Situation) fließend gehalten. Jane Elliott wechselt zwischen beidem hin und her, gibt mal Erklärungen und pickt sich dann wieder einen Blauäugigen heraus, und die TeilnehmerInnen können sich nie sicher sein, auf welcher Ebene sie sich jetzt bewegen. Fatal ist dies vor allem in der Auswertungsphase. So werden zum Beispiel die Blauäugigen gebeten, in drei Worten aufzuschreiben, wie sie sich während des Seminars gefühlt haben, und dann vorzulesen, was sie geschrieben haben. Sie tun dies im Vertrauen darauf, dass wie in anderen Selbsterfahrungsseminaren nun über diese Gefühle gesprochen werden kann, ohne dass jemand befürchten muss, dass seine oder ihre Verletzlichkeit ausgenutzt wird. Aber im Gegenteil, sie werden wieder bloßgestellt. (Blue Eyed – Blauäugig, Minute 1:25:25)

Lang und Leiprecht schreiben: „Der Film zeigt: Die „Blauäugigen“ fühlen die Unterdrückung nicht nur nach, sie werden als Personen ungeschützt angegriffen und real unterdrückt.“ (Leiprecht, Rudolf; Lang, Susanne “Dichotome Differenzen und antirassistische Praxis”)

Fatal ist die fehlende Trennung zwischen Spielsituation und Metasituation auch für mögliche Formen von Widerstand. Wenn eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer protestiert, ist nie klar, ob er sich innerhalb seiner Rolle gegen die Misshandlung wendet, oder ob er sich gegen das Training und das Trainingskonzept wendet. Widerstand wird so schnell als Widerstand gegen das Trainingskonzept, nicht gegen die Behandlung durch die Seminarleiterin interpretiert, und Jane Elliott kann den Rest der Gruppe auf ihre Seite bringen, indem sie diesen Widerstand als Störung des Seminars und Weigerung, etwas zu lernen, interpretiert. Da der Rest der Gruppe gerne etwas lernen möchte und neugierig ist auf das, was noch kommen wird, stehen die gegen ihre Misshandlung protestierenden Teilnehmer in aller Regel alleine da und sind machtlos.

(Eine Ausnahme bildet die Gruppe des Seminars in Großbritannien. Hier protestieren mehrere Teilnehmer und Teilnehmerinnen gleichzeitig: „How Racist Are You?“ part 2, und es wirkt: Jane Elliott ist verlegen, Antworten zu finden.)

Tatsächlich protestieren die meisten TeilnehmerInnen nicht gegen das Seminarkonzept, sondern gegen ihre Behandlung. Teilweise verhalten sie sich dabei wie aufsässige Schüler – Schüler, die moderne Lehrer gewohnt sind, die auf Provokationen mit Ruhe und Gelassenheit reagieren müssen. Jane Elliott ist noch eine Lehrerin der alten Schule, die aufsässige Schüler massiv in ihre Schranken weist und ihnen zeigt, wer stärker ist. Teilweise protestieren sie auf rationale – und solidarische! – Weise gegen die Behandlung durch Jane Elliott, wie etwa die kurzhaarige Frau in „The Angry Eye“ II. Niemand unterbricht jedoch bewusst die Situation und fragt: „Können Sie uns erklären, was Sie hier mit uns machen? Ich war für ein antirassistische Training angemeldet: können Sie uns bitte erläutern, was das Konzept dieses Trainings ist und welche Theorien über Lernen und über Rassismus dahinterstecken?“

Solche Fragen wären m.E. nötig, um das Training auf eine Weise abzubrechen, die eine oder einen nicht als bockiges, lernunwilliges Kind erscheinen lässt. (Ich gestehe: Während ich mir die Filme ansah, dachte ich in erster Linie über die Frage nach, wie ich einem solchen Seminar einigermaßen würdevoll hätte entfliehen können.) Als Teilnehmerin müsste man nicht gegen die Misshandlung. sondern gegen das Trainingskonzept protestieren; auf diese Weise würde man nicht als jemand Wehleidiges dastehen, der oder die nicht einmal für einen Tag aushalten kann, was Schwarze ihr ganzes Leben lang aushalten, oder auch als jemand, der oder die durch seinen Widerstand in einer ungefährlichen Situation die Schwarzen beschämt, die in gefährlichen Situation nicht Widerstand geleistet haben (Blue Eyed – Blauäugig, Minute 50:00). Was in Jane Elliotts Seminaren nicht vorkommt, ist der Widerstand, der tatsächlich in sehr gefährlichen Situationen von Schwarzen geleistet wurde.)

(Es ist eine von mehreren Stellen, wo Jane Elliotts Logik fehlerhaft ist: Wenn ich in einer Situation, in der der Verlust von zwei Credit Points das Schlimmste ist, was mir droht, Widerstand leiste, sage ich nichts über Situationen, in denen Gefahr für Leib und Leben besteht. Umgekehrt gilt aber: wenn ich keinen Widerstand leiste, wenn mein einziges Risiko im Verlust von zwei Credit Points besteht, stelle ich den Widerstand in weitaus gefährlicheren Situationen in Frage.)

Die Teilnehmerinnen haben nicht die Fähigkeit, Jane Elliotts Methoden zu durchschauen oder ihre Behauptungen anzuzweifeln oder ihre abstruse Logik zu durchbrechen. Die kurzhaarige Frau im Seminar für Studenten versucht es, aber sie scheitert daran, Jane Elliotts widersinnige Argumente zurückzuweisen . (Dass Jane Elliott nichts über die „issues“ der jungen Frau weiß, ist keine Rechtfertigung dafür, die blauäugigen TeilnehmerInnen des Kurses so zu hehandeln, als würden sie in diesem Kurs zum ersten Mal erfahren, was Demütigung und Schikane sind, „The Angry Eye“ | part 2 ; Minute 9:40)

Es ist allerdings schwierig, in einem solchen Seminar die Seminarleiterin zu entzaubern. Es ist nicht leicht, die Fehler in Jane Elliotts Logik zu durchschauen, während man im Seminar sitzt (ich habe auch mehrere Tage dafür gebraucht.) Das zweite Problem besteht meistens darin, dass der Rest des Kurses an den Lippen des Kursleiters hängt und von ihn oder sie als die Quelle ansieht. Mittlerweile gelingt es mir trotzdem hin und wieder; allerdings gibt es parallel dazu eine andere Entwicklung, nämlich dass ich versuche, derartige Seminare zu meiden. (Ich gerate fast immer in Streit mit dem Seminarleiter, und mittlerweile gewinne ich auch manchmal.) Als Zwanzigjährige und auch als Dreißigjährige wäre ich nicht in der Lage gewesen, Jane Elliott Widerstand zu leisten. Auch in den Filmen zu Jane Elliott sieht man, dass die TeilnehmerInnen der Seminare für Erwachsene besser widerstehen als die jungen Studenten. (Meine Hochachtung gilt der britischen Gruppe, aber auch der Gruppe von GefängnismitarbeiterInnen)

Neben der fehlenden Trennung von Spielebene und Metaebene stellt die fehlende Freiwilligkeit bei der Übernahme von Rollen ein weiteres Problem dar. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen werden durch Jane Elliott oder ihr Team in „Blauäugige“ und „Braunäugige“ unterteilt, wobei sie sich an der realen Augenfarbe orientieren, ohne sich sklavisch an sie zu halten. Niemand kann sich die Rolle aussuchen, so wie wir uns auch nicht aussuchen können, ob wir als Weiße oder Nichtweiße in diese Gesellschaft hineingeboren werden. Jane Elliott geht dabei das Risiko ein, dass jemand aus der Gruppe der „Blauäugigen“ mehr ertragen muss, als er oder sie kann.

Mein Eindruck ist, dass ihr dieses Risiko gleichgültig ist – es zeigt nur, dass Weiße nicht imstande sind auszuhalten, was Schwarze ihr Leben lang aushalten müssen. Das Problem ist aber, dass Schwarze das nicht aushalten, ohne dass es ihnen schadet (was Jane Elliott selbst sehr wohl bewusst ist.) Ein eintägiger Workshop wird natürlich in aller Regel keine bleibenden Schäden hinterlassen – allerdings ist dies in Einzelfällen, wenn Menschen gewisse Verletzlichkeiten mitbringen, sehr wohl möglich. Als Seminarleiterin sollte Jane Elliott dieses Risiko nicht eingehen. (Auch die Tatsache, dass Schwarze in unserer Gesellschaft viel mehr erleiden, berechtigt sie nicht dazu.) Sie interessiert sich nicht dafür, welche „issues“ ihre TeilnehmerInnen mitbringen, die es möglicherweise riskant machen, in die Rolle der Blauäugigen eingeteilt und dann von Jane Elliott herausgepickt und in die Enge getrieben zu werden. Sie gibt ihnen auch nicht die Chance, selbst zu entscheiden, dass das für sie möglicherweise zu viel ist und sich zu schützen und sich aus dem Spiel zurückzuziehen. Es wäre das mindeste, was sie tun müsste.

Was wird gelernt?

Was kann die Misshandlung der Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen rechtfertigen? Sie selbst rechtfertigt sie damit, dass Weiße lernen würden, wie Nichtweiße in dieser Gesellschaft behandelt werden. Sie hofft, dass die weißen, blauäugigen Teilnehmerinnen in diesem Seminar etwas über Rassimus lernen. (Hier, Blue Eyed – Blauäugig, Minute 1.00:10, erklärt sie, was die TeilnehmerInnen ihrer Meinung nach hätten lernen müssen, anstatt die sie zu fragen, was diese gelernt haben.)

Was Rassismus ist, wird in autoritativer Manier von Jane Elliott dargelegt. „Believe me, this is how the system works!“ sagt sie („The Angry Eye“ | part 1 Minute 4:15), und später benimmt sich wieder wie eine Predigerin: „Don’t deny differences!“ („The Angry Eye“ | part 2; Minute 11.55) Es gibt keine Diskussion über Rassismus, es werden nicht die unterschiedlichen Erfahrungen der TeilnehmerInnen offengelegt und diskutiert, es werden nicht die Vorannahmen der Teilnehmer diskutiert, es werden keine Texte mit unterschiedlichen Positionen gelesen. Rasssismus ist, was Jane Elliott behauptet, dass Rassismus sei, und rassistische Behandlung ist das, wie sie die Blauäugigen im Seminar behandelt.

Sie verwendet diesen autoritären Stil selbst während der Phase, in der sie die „Braunäugigen“ instruiert, wie sie sich während des Seminars verhalten sollen. Einem weißen Braunäugigen, der gegen ihren Ansatz protestiert und erklärt, die Logik dahinter sei fehlerhaft, entgegnet sie: „I don’t care what you think.“ („How Racist Are You?“ part 1, Minute 4:22) Sie tut dies, obwohl sie in dieser Situation nicht die Rolle der Unterdrückerin spielt, und es stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch eine Rolle ist.

Sie behauptet, dass das, was die Blauäugigen in ihrem Seminar erfahren, der Behandlung von Farbigen in den USA entspricht, sie verwendet aber Methoden, die nicht spezifisch für die Unterdrückung von Farbigen durch Weiße, oder von privilegierten Gruppen gegenüber nichtprivilegierten Gruppen sind, sondern die prinzipiell alle Menschen schon erlebt haben können. Demütigung und Schikane sind nicht auf Menschen begrenzt, die wegen eines unabänderlichen Merkmals wie der Hautfarbe unterdrückt werden: es gibt sie überall. Wenn Jane Elliotts Methoden für irgendetwas typisch sind, dann für schlechte Lehrer. Ich habe ein paar Beispiele gefunden:

  • „The Angry Eye“ | part 1 | Brown Eye-Blue Eye Experiment: In Minute 6:50 liest eine junge Frau einen Satz vor, der auf einem Plakat an der Wand steht. Sie muss ihn dreimal lesen, weil sie es angeblich nicht richtig gemacht hat. Ihr wird aber nicht gesagt, was falsch war.
  • In Minute 9:40 wird eine junge Frau gedemütigt, weil sie ihren Stift in ihrer Tasche hat. Jane Elliott treibt sie mit kleinen Fragen an den Punkt, wo sie nicht mehr weiter kann. Sie kann nicht benennen, was tatsächlich passiert, und behauptet, Jane Elliott würde schreien, was nicht stimmt: Das Problem ist ein anderes. Am Ende muss sie einen Kindervers aufsagen – so „beweist“ Jane Elliott ihr, dass sie sich nicht alles merken kann.
  • Wenn jemand tatsächlich etwas weiß, wird sie dafür bloßgestellt, dass sie zu viel redet. („The Angry Eye“ | part 2; Minute 0:40) Es ist wie in Jim Knopf, in der „Schule“ von Frau Mahlzahn, dem Drachen: Wenn ein Kind etwas nicht weiß, wird es dafür bestraft, dass es nichts kann, wenn ein Kind (wie Li Si) etwas weiß, wird es dafür bestraft, dass es angeblich arrogant und hochmütig sei. Es hat sehr viel mit Macht zu tun, aber es ist nicht spezifisch für Rassismus.
  • Sie greift zurück auf das „Argument“ because I told you so zurück („How Racist Are You?“ part 1)
  • Sie weist eine Frau wegen ihres Kaugummis zurecht. Brown eyes and blue eyes (Adult Session), Minute 3:00)

Dass sie Unterdrückungsmethoden verwendet, die nicht spezifisch für Rassismus sind, hat zur Folge, dass viele der „Blauäugigen“ sich an Situationen erinnert fühlen, die sie schon erlebt haben. Sie halten es nicht für nötig, dies alles noch einmal durchzumachen, um zu lernen wie es ist, unterdrückt zu werden. (Jane Elliotts Behauptung, dass es für die Weißen im Raum eine neue Erfahrung sei, einfach gehorchen zu müssen und keine Macht zu haben, Blue Eyed – Blauäugig, Minute 49:10, stimmt einfach nicht: Viele Menschen haben diese Erfahrung gemacht.) Sie weigern sich und protestieren, und ihre Kritik beginnt oft mit den Worten „You are assuming“ oder „You are making assumptions“.

Ein Beispiel ist die kurzhaarige Frau aus dem Seminar für Studenten: Sie wirft Jane Elliott vor, dass sie annimmt, dass ein schwarzer Mensch mehr leidet als sie, nur weil dessen Benachteiligung offen sichtbar ist. Jane Elliott gelingt es mit Leichtigkeit, diesen Vorwurf abzuwenden, indem sie darauf hinweist, dass sie überhaupt nichts über die „Issues“ der jungen Frau weiß (was der Behauptung der jungen Frau nicht widerspricht, sondern sie bestätigt, aber das durchschaut die junge Frau nicht so schnell).

Der Vorwurf der jungen Frau ist aber berechtigt. Vollständig würde er lauten: „Sie nehmen an, dass ich, nur weil ich weiß bin, nicht weiß, was Unterdrückung und Erniedrigung sind. Ich weiß es aber, und brauche Sie und Ihr Seminar nicht, um das zu lernen. Sie haben kein Recht, uns zu misshandeln.“ Darauf kontert Jane Elliott mit der Erklärung, dass die junge Frau eine Wahl hat: Sie kann ihre Erscheinung verändern. Ein Schwarzer kann sein Aussehen nicht verändern.

Eine braunäugige weiße Frau im Seminar in Großbritannien fasst Jane Elliotts Position so zusammen. „She wants to know what black people go through, but she does not want to know what everybody else is going through.“ („How Racist Are You?“ part 2, Minute 12:50) Es ist auch ein berechtigter Vorwurf, und möglicherweise einer der Punkte, auf den die meisten der „Blauäugigen“ am heftigsten reagieren, auch wenn sie sich dessen nicht unbedingt bewusst sind. Jane Elliotts einzige Antwort darauf ist wieder, dass Schwarze die Farbe ihrer Haut nicht ändern können und daher Schlimmeres durchmachen – und damit gerät sie in die Gefahr, „oppression olympics“ hervorzurufen.

Aber selbst, wenn die Methoden, die sie verwenden würde, wirklich spezifisch für Rassismus wären, ist die Frage doch, ob ein Mensch innerhalb eines Tagesseminars nachempfinden kann, wie es ist, als Angehöriger einer benachteiligten Gruppe in dieser Gesellschaft aufzuwachsen. In einem Tagesseminar kann ein Mensch nicht erfahren, wie es ist, wenn einem von Kindheit an vermittelt wird, dass man minderwertig sei, so dass es sich in die Art und Weise eingräbt, wie man spricht und sich bewegt.

(Wie gesagt, ich habe auch schon gute Rollenspiele erlebt, etwa zum Thema Bullying. Da ging es darum, den Teilnehmenden klar zu machen, dass das Opfer keine Chance hat, und später darum, dass mit der Unterstützung von anderen etwas erreicht werden kann. Es geht nicht darum, einen Eindruck zu vermitteln, wie es ist, wenn man jahrelang Opfer ist.)

Jane Elliott bezieht sich auf das indianische Zitat, dass man einen Menschen nicht beurteilen soll, bevor man nicht eine Meile in seinen Mokassins gelaufen ist. Ich vermute, dass sie es auf eine etwas zu flache und wörtliche Weise interpretiert. Man muss nicht alles selbst durchmachen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie es ist. Man kann auch dadurch lernen, dass man zuhört oder liest, was andere Menschen von ihren Erfahrungen zu berichten haben. Bei den schlimmsten Erfahrungen, die Menschen in dieser Welt machen müssen, sind wir auf solche Berichte angewiesen, denn wer wäre wirklich dafür, jemanden zu foltern, damit er weiß, was Folter ist? Aber jemanden „ein bisschen“ zu foltern, wobei er sicher sein kann, dass es aufhört, wenn es zu schlimm wird, vermittelt nichts über reale Folter.

(Ich fühle mich dabei auch eine der Rechtfertigungen für Rache erinnert, die man manchmal hört: Jemand schlägt einen, der schwächer ist als er selbst, eine dritte, noch stärkere Person verprügelt dann ihrerseits den Schläger „damit er weiß, wie das ist.“ Ich weiß nicht, ob das je dazu geführt hat, dass jemand dadurch Empathie entwickelt hat.)

Was wird in Jane Elliotts Seminaren nicht gelernt? Die Analyse von Strukturen kommt in diesen Seminaren nicht vor. Es wäre zum Beispiel möglich, die Unterdrückungsmethoden zu untersuchen, die Jane Elliott einsetzt. Dazu müsste sie aber die Spielsituation möglichst abbrechen, bevor die Teilnehmerin in Tränen ausbricht, und spätestens nachdem dies geschehen ist, und sie nicht noch weiter quälen.

Gelernt wird auch nichts über Handlungsmöglichkeiten. Es wird zwar die Hoffnung geäußert, dass die Teilnehmer durch die Erfahrungen, die sie während des Seminars gemacht haben, sich verändert haben und irgendetwas gegen Rassismus unternehmen werden (und sei es auch nur, dass sie ihr eigenes Verhalten ändern), aber was dies sein soll, bleibt unklar. Dies gilt umso mehr, als Widerstandstechniken explizit nicht Thema des Seminars sind.

Was wirklich erschreckend ist

Als ich die Filme über Jane Elliotts Seminare zum ersten Mal sah, fragte ich mich, was Jane Elliott dazu bringt, so zu handeln, wie sie es tut. Fasziniert und erschrocken beobachtete ich sie und dachte: Wie wird jemand so? Mittlerweile frage ich mich eher, warum sie so viel Unterstützung erfährt. (Die Kommentare auf Youtube sind praktisch durchweg positiv.) Im Text von Lang und Leiprecht Dichotome Differenzen und antirassistische Praxis findet sich eine mögliche Erklärung:

Eine studentische Referatsgruppe führt den Film BLUE EYED vor, der viele Studentinnen und Studenten beeindruckt. Elliotts Ausstrahlungskraft überzeugt sie, das autoritäre und unnachgiebige Auftreten der Trainerin gefällt. Schließlich, so die Studierenden, gehe es um eine gute Sache. Macht und Autorität würden gebraucht, um den Weißen zu zeigen, was es heiße, rassistischer Diskriminierung ausgesetzt zu sein; sie beobachten die Demütigungen teilweise mit Genugtuung.

Die Referatsgruppe ist verblüfft. Sie wollte mit dem Film anregen, über problematische Seiten bestimmter antirassistischer Ansätze nachzudenken. Und hatte man sich nicht in der Sitzung zuvor noch mit der „Theorie der autoritären Persönlichkeit (Adorno, Horkheimer, Fromm etc.) beschäftigt? War damals nicht aus dem Kreis jener, die sich jetzt von Jane Elliott beeindrucken ließen, Verwunderung darüber deutlich geworden, wie es möglich war, dass in der Weimarer Republik autoritäre Ideologien geglaubt und übernommen wurden? Und hatten nicht gerade diese Studentinnen und Studenten durch ihre antiautoritäre Haltung gezeigt, ja unterstrichen, dass autoritäre Denkmuster heutzutage in Deutschland zumindest veraltet, wenn nicht gar unmöglich geworden seien?
Die Reaktion auf Elliott zeigt, dass – entgegen der (Selbst-)Einschätzung der Studentinnen und Studenten – die Anziehungskraft autoritärer Persönlichkeiten und Handlungsmuster noch sehr hoch ist. Offenbar genügt es, autoritäres Auftreten mit einem vom eigenen Standpunkt aus positiv bewerteten Ziel zu verbinden. Dann scheint der antirassistische Zweck autoritäre Mittel zu heiligen.

Was auch erschreckt, ist, dass nur im britischen Seminar die Braunäugigen Widerstand leisten, und auch dort nur die Weißen unter den Braunäugigen. Einige der Farbigen zeigen offene Unterstützung für Jane Elliott. Mich lässt das ins Grübeln kommen, ob ihre Situation wirklich so schlimm ist, dass es ihnen Erleichterung bringt, zu beobachten, wie Jane Elliott eine Gruppe von Weißen, die nicht rassistischer sind als der Durchschnitt der Gesellschaft (möglicherweise weniger rassistisch, sonst würden sie nicht an einem solchen Seminar teilnehmen), demütigt und schikaniert. Aber vielleicht täuscht der Eindruck auch: Es kommen immer nur einige wenige farbige TeilnehmerInnen der Seminare zu Wort, und ich halte es für möglich, dass sie so ausgewählt wurden, dass sie Jane Elliotts Position bestätigen.

Am Ende des Seminars mit der britischen Gruppe wird Jane Elliott interviewt („How Racist Are You?“ part 3, Minute 5:40.) Der (farbige) Interviewer fragt sie, ob sie sich schuldig fühle, weiß zu sein, und Jane Elliott antwortet klar mit „nein“, denn sie hat ihre weiße Haut nicht gewählt. Sie streitet auch ab, dass alle Weißen sich für etwas schuldig fühlen sollten: Man sei für Benehmen, nicht für seine weiße Haut schuldig, und das Benehmen hat seinen Ursprung in Unwissenheit. Sie behauptet allerdings, dass alle Weißen mit dem Mythos weißer Überlegenheit aufgewachsen und daher rassistisch seien.

Sie möchte nicht hören, dass ihr Verhalten gegenüber den Blauäugigen der Gruppe brutal und manipulativ ist. Sie sagt, es wirke nur auf weiße Menschen so, weil weiße Menschen nicht gewöhnt sind, ein solches Verhalten Tag für Tag zu ertragen. Sie behauptet, es interessiere sie nicht, was Menschen über sie denken, denn sie habe etwas gegen Rassismus bewirkt.

Was sie anscheinend nicht wahrnimmt, ist, dass sie den Eindruck erweckt, dass sie die blauäugigen TeilnehmerInnen ihrer Seminare dafür bestraft, dass sie weiß sind (daher auch die Frage des Interviewers, ob sie sich schuldig fühle.) Sie besteht darauf, dass es ihr nur darauf ankäme, dass die „Blauäugigen“ etwas lernen. Andererseits scheint sie die Möglichkeit auszuschließen, dass die weißen Teilnehmer ihrer Seminare im Laufe ihres Lebens schon etwas gelernt haben, etwa durch Bücher, Gespräche mit Nichtweißen oder Seminare anderer Anbieter, und möglicherweise das, was sie ihnen zu bieten hat, nicht mehr nötig haben. Möglicherweise wissen sie schon, was Demütigung, Schikane und Machtlosigkeit sind. Möglicherweise wissen sie auch schon einiges über Rassismus, und wie man ihm entgegenwirkt.

Aber vielleicht denkt sie auch, dass solche Vorkenntnisse irrelevant sind: schließlich sind sie trotzdem Menschen, die mit dem Mythos weißer Überlegenheit aufgewachsen sind. Ein paar Seminare und Bücher können daran nichts ändern. Allerdings entwertet sie dabei ihre eigenen Seminare, es sei denn, sie hält sie für so speziell und ungewöhlich, dass Menschen in ihnen etwas lernen können und dauerhaft verändert werden, während dies in anderen Seminaren prinzipiell unmöglich ist.

Post Skriptum: Das Gedicht von Martin Niemöller:

Am Ende des Films Blue Eyed – Blauäugig zitiert Jane Elliott das berühmte Gedicht von Martin Niemöller:

Als sie die Juden holten, tat ich nichts, weil ich kein Jude war.
Als sie die Homosexuellen holten, tat ich nichts, weil ich kein Homosexueller war.
Als sie die Zigeuner holten, tat ich nichts, weil ich kein Zigeuner war.
Als sie mich holten, war niemand da, der etwas für mich hätte tun können.

Ich habe zugehört und gewartet, dass sie die Kommunisten erwähnt. Ich kenne das Gedicht von Martin Niemöller nicht auswendig, aber ich wusste, dass die Kommunisten darin vorkommen. Ich wartete natürlich vergeblich. Anschließend habe ich im Internet nach der Originalversion gesucht:

Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

Quelle: http://www.martin-niemoeller-stiftung.de/4/daszitat/a31_print

Auf der Seite findet sich auch ein längerer Text, der den Hintergrund des Gedichts erklärt (Was sagte Niemöller wirklich?) und darauf hinweist, dass es die Originalverison des Gedichts nicht gibt, sondern dass es immer mehrere Versionen gegeben hat. Was aber bemerkenswert bleibt: Martin Niemöller geht es (zumindest auch) um die Menschen, die wegen ihrer Überzeugungen und Aktivitäten verfolgt wurden. Jane Elliott hat nichts für diese Menschen übrig, da diese alle „eine Wahl“ hatten. Es geht ihr nur um die Menschen, die wegen unabänderlicher Merkmale verfolgt werden. Man kann darüber streiten, was nun wichtiger ist – Jane Elliott aber sollte etwas vorsichtiger mit Martin Niemöllers Gedicht sein. Sie hat es sinnentstellend verändert.

Links zu Filmen und Texten:

Filme zu Jane Elliotts Arbeit:

Blue Eyed – Blauäugig Jane Elliott: Der Klassiker unter den Filmen über ihre Arbeit. Eineinhalb Stunden lang, mit einer Dokumentation eines Workshops für Erwachsene, Aufnahmen ihrer ursprünglichen Arbeit mit Kindern, und vielen Interviews.

Brown eyes and blue eyes (Adult Session) – Jane Elliott Film über einen Workshop mit Mitarbeitern einer Justizvollzugsanstalt. Es ist nicht klar, wie der Konflikt am Ende ausgeht.

„The Angry Eye“ | part 1 | Brown Eye-Blue Eye Experiment, „The Angry Eye“ | part 2 | Brown Eye-Blue Eye Experiment: Bericht über einen Workshop mit StudentInnen. (Es wird nichts genaues gesagt, aber ich vermute, dass es sich um eine Art Seminar handelt, in welchem man Credit Points für sogenannte Schlüsselqualifikationen sammeln kann.)

„How Racist Are You?“ | part 1 | Jane Elliott’s Brown Eye-Blue Eye Experiment „How Racist Are You?“ | part 2 | Jane Elliott’s Brown Eye-Blue Eye Experiment „How Racist Are You?“ | part 3 | Jane Elliott’s Brown Eye-Blue Eye Experiment Dokumenattion eines Workshops in Großbritannien. Die TeilnehmerInnen lassen Jane Elliott auflaufen.

Texte, die über ihre Arbeit berichten:

Zum Trainingskonzept von Jane Elliott von Kitty Bueno de Mesquita (Übersetzung: Jürgen Schlicher): Text von der Website des Vereins, der in Europa das Antirassismustraining nach Jane Elliott anbietet.


Die Braunäugig-Blauäugig Übung – Ein Trainingskonzept zur Thematisierung von Diskriminierung anhand der Augenfarbe von Jürgen Schlicher
Ein weiterer Text des Leiters der Organisation, die Jane Elliotts Training in Europa anbietet.

Texte, die sich kritisch mit Jane Elliotts Arbeit auseinandersetzen:

Leiprecht, Rudolf; Lang, Susanne „Dichotome Differenzen und antirassistische Praxis“: Die Texte von Rudolf Leiprecht und Susanne Lang bieten die fundierteste Kritik am Konzept von Jane Elliott, die ich gefunden habe. Außer diesem einen, der online ist, habe ich noch einen weiteren in der UB gefunden: Der Inhalt ist im wesentlichen derselbe.

Die weiteren Texte sind Abschlussarbeiten von Studenten:

„Wege und Ziele antirassistischer Pädagogik: eine diskurstheoretische Studie mit exemplarischen Fallanalysen“ von Rüdiger Hausmann

„Das Antirassismustraining ‚Braunäugig/Blauäugig‘: Ein sinnvoller Beitrag zur Erlangung rassismuskritischer Kompetenz?“ von Leonie Riebandt

„Blauäugig? Darstellung und Kritik des Antirassismus – Trainings „Blue Eyed“ (Jane Elliott)“ von Franziska Roßmann

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45 Antworten zu Blauäugig: Zum Antirassismustraining von Jane Elliott

  1. kadda schreibt:

    DANKE!
    das ist eine wahnsinns Arbeit, sehr intensive und ausgiebige Recherche, kluge Fragen und Gedanken.
    als man den Link zu Elliot bei mir postete (die ich seit ewig kenne, sie ist mir schon bei der Grünen Jugend begegnet), dachte ich mir gar nichts böses dabei. Irgendwie gehörte sie für mich zu allem, was mich geprägt hat. Und natürlich: ähnlich wie das standford prison experiment gehört es zu den experimenten, die schon auch sehr wichtig waren für das erkennen von uns menschen. vergleichbar auch mit „die Welle“. jedenfalls fand ich das Verlinken gar nicht weiter nachdenkenswert, dass man mir diesen link hinschmiss.

    erst jetzt, nach der lektüre deiner klaren diskussion dieser methode, wird mir klar, was mir damit gesagt werden sollte, gerade im zusammenhang mit noah sow!

    „Sie streitet auch ab, dass alle Weißen sich für etwas schuldig fühlen sollten: Man sei für Benehmen, nicht für seine weiße Haut schuldig, und das Benehmen hat seinen Ursprung in Unwissenheit. Sie behauptet allerdings, dass alle Weißen mit dem Mythos weißer Überlegenheit aufgewachsen und daher rassistisch seien.“

    es soll genau diese Herangehensweise gerechtfertigt werden, oder?

    und wichtig finde ich, was du hier sagst:

    Was wird in Jane Elliotts Seminaren nicht gelernt? Die Analyse von Strukturen kommt in diesen Seminaren nicht vor. Es wäre zum Beispiel möglich, die Unterdrückungsmethoden zu untersuchen, die Jane Elliott einsetzt. Dazu müsste sie aber die Spielsituation möglichst abbrechen, bevor die Teilnehmerin in Tränen ausbricht, und spätestens nachdem dies geschehen ist, und sie nicht noch weiter quälen.

    einfach danke!

    • susanna14 schreibt:

      Ich hatte Jane Elliotts Aktivitäten auch unter „soziales Experiment“ gespeichert und folgte dem Link aus Neugier. Ich habe nicht von vornherein geplant, die Filme auseinanderzunehmen – dazu ist mir meine Zeit zu schade. Ich war also erst einmal offen und neugierig, aber mit der Zeit eben immer verstörter. Ich glaube aber, dass ich nach dem ersten Sehen des Films immer noch nicht sicher sagen konnte, ob das jetzt ein Experiment war oder nicht. Erst die Links mit Texten, die ich gefunden habe, brachten mir Klarheit, dass es sich um Workshops handelte.
      Der Unterschied zu Noah Sow ist der, dass es bei Jane Elliott klar ist, dass es sich um eine pädagogische Situation handelt (oder handeln sollte.)
      Ich weiß nicht, ob meine Gedanken wirklich so tief sind. Am Ende bleiben sie immer am selben Punkt: Es ist ein absolutes No-Go, als Seminarleiterin die Teilnehmerin eines Seminars an einen Punkt zu treiben, wo sie in Tränen ausbricht, und sie dann noch zu verspotten. SIe hat eine gewisse Verantwortung für ihre Seminarteilnehmerinnen. Wenn du richtig tiefe Gedanken lesen willst, musst du den Text von Leiprecht und Lang lesen.

      Ich glaube, ein Problem an dem Verfahren von Jane Elliott besteht darin, dass sie zwar behauptet, dass sie die weißen TeilnehmerInnen demütigt und schikaniert, damit sie etwas lernen, dass aber irgendwie doch der Eindruck entsteht, es gehe in Wirklichkeit darum, sie zu bestrafen. Ich glaube, man könnte noch weiter gehen in der Analyse, als ich es getan habe – aber ich glaube, die Frage, die ich gestellt habe, nämlich „was wird gelernt?“ ist die richtige, und mit der muss man Jane Elliott auseinandernehmen. Es ist ja auch ihre „offizielle“ Rechtfertigung. Das Unterschwellige, die „Bestrafung“ ist auch da, glaube ich, und ich vermute, dass die blauäugigen TeilnehmerInnen gerade darauf reagieren – aber da es unterschwellig ist, muss man damit vorsichtig sein. Wenn man auf dieser Ebene argumentiert, kann Jane Elliott leicht sagen: „es geht darum, dass ihr etwas lernt.“ (Eine Sache ist aber problematisch: dass Jane Elliott immer wieder damit kommt, dass Schwarze viel Schlimmeres erleiden müssen. Da geht es dann doch nicht mehr darum, ob man etwas lernt oder nicht, sondern darum, wie viel diese oder jene Gruppe leiden muss.)

      Worauf ich jetzt gar nicht eingegangen bin, ist die Gruppe mit Kindern. Anscheinend waren es lernbehinderte Kinder – und gerade die bräuchten doch Schutz vor solchen Experimenten. Und wenn es lernbehinderte Kinder sind, haben sie doch bestimmt auf der normalen Schule, auf der sie vorher waren, eine ganze Menge Verunsicherung und Stigmatisierung erlebt. (Andererseits ist mein Eindruck, dass Jane Elliott mit ihnen vorsichtiger umgeht als mit den Erwachsenen. Das ist aber auch absolut nötig.)

      Ich weiß nicht, worauf die Frau, die den Link gepostet hat, wirklich hinweisen wollte. Möglicherweise hat sie genau wie du und ich Jane Elliott unter „soziales Experiment“, nicht unter sadomasochistisches Antirassismustraining abgespeichert gehabt.

  2. chomskyy schreibt:

    Hallo Susanna14

    Per Zufall wieder mal heute auf Deiner Seite gelandet und per Zufall hast Du wieder mal einen neuen Blogbeitrag geschrieben. Ich bin momentan im Thema Rassismus/Anti-Rassismus nicht mehr so auf dem aktuellsten Stand. Ich habe ja bei einer meiner Ausbildungen eine Diplomarbeit über Rassismus geschrieben und zwar mehr so in einem diskurstheoretischen Kontext, die Arbeit hatte den Namen: „Diskurs – Macht – Hegemonie. Am Beispiel Rassismus“. Und hier habe ich mich insbesondere auf die Arbeiten des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) abgestützt.

    http://www.diss-duisburg.de/

    http://www.diss-duisburg.de/edition-diss/

    • susanna14 schreibt:

      Ich nehme das mal als Tipp, wo ich intelligente Arbeiten zum Thema Rassismus finden kann. (Bin schon auf der Website gewesen. In den Semesterferien habe ich jetzt auch wieder Zeit.)

    • tante kommunismus schreibt:

      Das Manko der Diskursanalyse ist, dass sie den Rassismus aus sich selbst heraus erklären will. Warum sind die Leute rassistisch? Wegen dem rassistischen Diskurs? Warum gibt es den rassistischen Diskurs? Weil die Leute rassistisch sind. Das ist ein einwandfreier Zirkel.

      Damit will ich nicht sagen, dass die Diskursanalye nicht zur Beschreibung (medialer) Diskurse herangezogen werden könnte. Das kann man: zur _Beschreibung_ mag sie schon taugen; zu mehr aber nicht.

  3. tante kommunismus schreibt:

    Es gibt, immer wenn es um Israel geht, das Argument: „Gerade die Juden sollten es besser wissen!! Die wurden doch selber zu Opfern gemacht!!“ — Nicht ohne Grund steht dieses Argument immer wieder in der Kritik. Es suggeriert, dass die Erfahrung von Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung identisch sei mit ihrer Erklärung und auch mit der Ablehnung jeglicher Verfolgung. Nur: Auschwitz war keine Bildungsanstalt, und die Erfahrung von Gewalt ist nicht ihr Erklärung und Kritik.

    Es ist daher durchaus auch im Bereich des möglichen, dass ein Blauäugiger schikaniert wird und daraus schlussfolgert, dass es nun für ihn darauf ankommt, immer „oben“ zu bleiben, damit das nie in realiter passieren kann (bzw. nicht mehr passieren kann: genau das ist zB dann eine der Rechtfertigungen rechter israelischer Regierungspolitik) . Dann wurde dem im Zweifelsfall eine ordentliche Motivation für seinen Rassismus gegeben.

    Erfahrungen wollen erklärt werden, und dabei kann man Fehler machen. Denn es gibt zig mögliche Erklärungen für eine Erfahrung — und die meisten sind eben falsch. Das sieht man alleine daran — Achung, kurzer Themenwechsel –, dass zB Lohnarbeitslose alle möglichen Erklärungen für ihre miese Lage heranziehen — „Ausländer“ etc. –, aber nur selten das Lohnsystem in den Mittelpunkt der Kritik stellen (das aber wäre das richtige). Erfahrung macht aus niemandem einen „besseren“ Menschen. Und klüger macht sie auch nur dann, wenn sie sich dann richtig erklärt wird.

    Ein WS, in dem so gut wie nichts erklärt wird, ist auch aus diesem Grund abzulehnen.

    • susanna14 schreibt:

      Vielen Dank! Da hast du in ein paar kurzen Abschnitten ein Argument gebracht, das dem Seminar vollkommen den Boden entzieht, indem es ihre Grundlage (in den Mokassins eines anderen gehen), angreift.

      Und du hast natürlich absolut recht: Erfahrungen an und für sich lehren überhaupt nichts, sondern sie müssen erklärt, reflektiert und interpretiert werden. „Eigentlich“ weiß ich das, und ich frage mich gerade, warum ein solch einfaches Argument mir nicht eingefallen ist, als ich das alles geschrieben habe.

      Und dieses erklären, interpretieren und reflektieren darf eben nicht während des Rollenspiels erfolgen, wo man sich nicht sicher sein kann, ob die anderen Personen jetzt in ihrer Rolle agieren, oder ob sie sagen, was sie wirklich vertreten. Deswegen ist die fehlende Trennung zwischen Rollenspiel und Auswertungssituation so fatal. (Jane Elliott gibt ja immer wieder Erklärugen, aber es ist nicht klar, wie sie es eigentlich meint. Nur dass man manchmal den Verdacht bekommt, dass sie keine Rolle mehr spielt, sondern die Leute wirklich schikanieren will.)

      • tante kommunismus schreibt:

        Ein Beispiel für eine fehlerhafte Erklärung wäre zB der Antisemitismus, der ab ca. den 1970ern in Teilen der schwarzen Bewegung in den USA aufkam. Da wurde als Ursache der Unterdrückung eine „jüdische Verschwörung“ gewittert – womit (leider) auch jene jüdischen AktivistInnen zunehmend aus de Bewegung gedrängt wurden, die gemeinsam mit Schwarzen gg Rassismus kämpften (in den 50ern und 60ern waren linke Juden ja eine der wichtigsten Verbündeten).
        Es gibt ein empfehlenswertes Buch, wo das auch thematisiert wird: Ulrika Heider 1996): Schwarzer Zorn und weiße Angst. Reisen durch Afro-Amerika. Fischer.

  4. tante kommunismus schreibt:

    Noch was: Ohne Erklärung erscheint die Gewalt grundlos. Ganz beliebig. Die Frage ist, ob man damit Rassismus nicht eher verrätselt, statt ihn zu erklären & kritisieren.

    • tante kommunismus schreibt:

      Konkret: Man weiß dann vllt was über die Mittel; der Zweck aber bleibt verborgen.

      • susanna14 schreibt:

        Auch über die Mittel weiß man noch nicht viel nach einem solchen Seminar, da Jane Elliotts Methoden nicht spezifisch für Rassismus sind. Es sind die typischen Machtstrategien von Lehrern. Rassismus ist viel mehr.

        P.S. Bist du Proletin?

        • tante kommunismus schreibt:

          Ja, ich bin nur anders eingeloggt und sehr faul.

          Und ja, deine Beschreibungen haben mich auch eher an eine/n LehrerIn erinnert, der oder die sich einzelne SchülerInnen rauspicken, um sie zu schikanieren. Meine Mutter hat das zB noch erlebt, selber, aber v.a. als Beobachterin (Schikanen gg Arbeiterkinder).
          Man weiß also etwas über die Mittel alltäglicher Unterdrückung und Schikane. Aber man weiß zB nicht, wieso man überhaupt schikaniert wird.

          • susanna14 schreibt:

            Ich habe das auch noch erlebt, allerdings nur noch von ein paar Lehrern „vom alten Schlag“, die ich in der Unterstufe am Gymnasium hatte.

            (Manchmal frage ich mich, ob der heutige Zustand besser ist. Die neuen Lehrer verfügen nicht mehr über diese Strategien, dafür schicken sie dann die Eltern zum Kinderarzt, damit er das Kind auf ADHS testet.)

            Ein paar Sachen sind oberflächlich – ein äußeres Merkmal, das so gewählt ist, dass nur ausschließlich Weiße, aber nicht alle Weißen in der Gruppe der Unterdrückten landen, und Jane Elliott macht die Parallele zum Rassismus ja auch klar („Schwarze in diesem Land müssen viel Schlimmeres erdulden.“) Aber sonst wird nichts erklärt.

      • susanna14 schreibt:

        Zum Beispiel kommt der strukturelle und institutionelle Rassismus in diesem Text gar nicht vor. Ein Beispiel, das mir einfällt, ist die Überbetonung von Sprache im deutschen Bildungssystem, kombininiert mit früher Auslese, so dass in erster Linie nach Elternhaus ausgelesen wird. (Das richtet sich auch gegen deutschsprachige Kinder, die nicht aus einem bürgerlichen Elternhaus kommen.)

  5. erzaehlmirnix schreibt:

    Ich habe nur in ein Video reingeschaut und fand es schrecklich. Ich kann mir gut vorstellen, dass grade für traumatisierte Menschen mit Gewalterfahrung – egal in welcher Gruppe sie gelandet sind – dieses Seminar eine extreme Belastungsprobe sein kann und unter Umständen auch retraumatisierend wirkt. Es spiegelt aber die Ansätze vieler Richtungen wie z.B. Feminismus wider, wo teilweise ganz bewusst die privilegiertere Gruppe schlechter behandelt wird. Oft mit ähnlichen Argumenten wie „es ist gut wenn sie mal sehen, wie sich das anfühlt“ oder „das ist ein sicherer Raum für die sonst Unterdrückten“. Das Einzige was man damit aber erreicht ist, dass ein „Wettbewerb“ darüber ausbricht, wer unterdrückter ist, denn die „priilegierte“ Gruppe gerät so schnell in einen Rechtfertigungsdruck zu erklären, dass sie auch schon schlimme Erfahrungen gemacht hat. Anstatt eine offene Atmosphäre herzustellen in der wertfrei und empathisch ausgenommen werden kann wie bestimmte Verhaltsnsweisen und Erfahrungen auf den anderen wirken entsteht ein Gegeneinander in dem es nur darum geht, wer es schwerer hat.
    Ein besserer Ansatz wäre m.E. auf die Gemeinsamkeiten (wie du sagst, jeder wurde schonmal gedemütigt und schlecht behandelt) zu fokussieren und aus dieser Gemeinsamkeit heraus Solidarität zu schaffen.

    • susanna14 schreibt:

      Für mich war schon das ansehen eine Belastungsprobe, und als ich am Freitag den Text beendete, war ich erst einmal froh, fertig zu sein.
      Allerdings haben Jane Elliotts Seminare nichts mit Feminismus zu tun, und ich möchte meinen Text auch nicht als generell gegen antirassistische Arbeit verstanden wissen, nur gegen diese Form. „Argumente“ wie „sie sollen sehen, wie es sich anfühlt“ sind Dummheit; sie zeigen nur, dass die, die sie vorbringen, keine Ahnung von Pädagogik haben.

      • erzaehlmirnix schreibt:

        Ja, ich weiß dass es nichts mit Feminismus zu tun hat (abgesehen vom critical whiteness-ansatz, der dort teilweise mittlerweile einzug gefunden hat), ich fand nur ähnliche argumentationen bei beiden.
        Ich finde es immer schade wenn prinzipiell tolle Ziele wie Feminismus und Antirassismus, die Ungerechtigkeit eigentlich bekämpfen wollen dann als Mittel dazu genau wieder Ungerechtigkeit wählen. Im Prinzip also genau dasselbe tun, nur eben umgedreht. Dabei muss ich immer an „Fighting for love is like fucking for virginity“ denken. Wenn man was ändern will muss man auch etwas anderes machen und nicht den gleichen Mist einfach in die andere Richtung :/

        Jedenfalls, bevors nun völlig abschweift, toller Text, danke fürs schreiben!

  6. Verwunderter schreibt:

    Nachdem ich hier die Kritik, sowie die Kommentare gelesen habe konnte ich nur den Kopf schütteln. Auch die 29 seitige kritische Analyse in der Verlinkung löste bei mir nur Kopfschütteln aus. Da erkennt man den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Die Workshop Teilnehmer von Blue Eyed sind einen halben bis einen Tag in einer anderen Situation. Sehr unangenehm und sehr deprimierend, ja man kann schon sagen harter Tobac. Aber danach gehen Sie wieder in Ihr Leben. Was ist mit den Menschen die nicht aus Ihrem Leben austreten können (weil behindert, andere Hautfarbe, etc.), sondern weiter gezwungen sind sich darin auf zu halten. Sie wurden auch einfach ohne das man Sie informiert hat hineingeworfen und müssen seitdem damit klar kommen. Wie fühlt sich ein Behinderter im Alltag? Und und und. Man könnte die Liste beliebig verlängern wie sich Menschen fühlen wenn Sie benachteiligt werden. Aber wir werden es erst wirklich erahnen wenn wir es auch fühlen. Beispiel ein Rollstuhlfahrer. Wir alle können uns anfühlen an seine Situation, aber wir können erst erahnen wie groß die Frustration ist wenn wir selbst in einem Rollstuhl sitzen und versuchen die alltäglichen Dinge zu erledigen und uns mit den abwertenden Blicken, den üblen Kommentaren, den Anfeindungen und der gewollten Diskriminierung auseinandersetzen. Als Aussenstehende können wir immer gut Kritik üben, urteilen und theoretisch alles richtig machen. Nur sieht die Praxis ganz anders aus.

    • susanna14 schreibt:

      Du verwendest die selbe Argumentation wie Jane Elliott, und ich habe bereits im Blogpost darauf geantwortet: Die Tatsache, dass andere Menschen ein ganzes Leben lang misshandelt werden, ist keine Rechtfertigung dafür, die eigenen Seminarteilnehmer einen Tag lang zu misshandeln.
      Außerdem gehst du stillschweigend davon aus, dass es niemandem schadet, einen Tag lang einer solchen Misshandlung ausgesetzt zu sein. Das stimmt wohl meistens, aber nicht immer. Menschen, die aufgrund ihrer Vorgeschichte (für die Jane Elliott sich nicht interessiert) besonders empfindlich sind, können nach einem solchen Tag Probleme bekommen.

      Ich habe kein Problem mit Workshops, bei denen Menschen einen Tag lang im Rollstuhl fahren und ausprobieren, wie das so ist (, jedenfalls kein prinzipielles, im einzelnen käme es noch auf die Gestaltung des Workshops an.) Dort geht die Demütigung nicht vom Seminarleiter aus.

      Ja, und was den Text von Lang und Leiprecht anbelangt: Sie üben hauptsächlich Kritik an Jane Elliotts autoritären Methoden, und dieser Kritik stimme ich voll und ganz zu. Jane Elliotts Methoden stammen aus der Mottenkiste der Pädagogik der Fünfziger, und dorthin sollten sie ganz schnell wieder zurückwandern. VIelleicht hast du dir auch die Videos zu „How racist are you?“ angesehen, dem Workshop, der völlig aus dem Ruder lief (und in dem daher die interessantesten Prozesse zu beobachten waren.) Sowohl in der Phase, in der sie die Braunäugigen über ihr Verhalten instruiert als auch während des abschließenden Interviews benimmt sich Jane Elliott sehr autoritär und lässt andere nicht gelten. Gute Argumente hat sie nicht, und sie ist nicht imstande, auf die Argumente ihrer Gesprächspartner einzugehen. Ihr Verhalten ist längst keine Rolle mehr.

      • Verwunderter schreibt:

        Eigentlich dachte ich, die Menschen sind erzürnt über die Tatsache dass Frau Elliott Kindern einen Kragen umhängt und diese einen halben Tag durch diese extreme Phase schickt. Denn Kinder sind leicht zu beeinflussen, zu manipulieren und die Auswirkungen können sehr nachhaltig sein. Aber nein, beschwert hat man sich hier, dass Erwachsene, mündige Bürger die im Leben stehen und Ihren Platz in der Gesellschaft haben sich freiwillig diesem Prozedere aussetzen obwohl Sie ganz klar NEIN sagen und den Workshop verlassen können (siehe Szene am Anfang „schreiben Sie Ihren Namen so dass ich Ihn lesen kann oder verlassen Sie das Gebäude“). Es kam auch kein Aufreger darüber, dass so eine Negativerfahrung so leicht machbar ist durch eine einzelne Person und Ihrem Auftreten, sowie das alle mitmachen in einem scheinbaren Gefühl der Normalität. Es kommt hier auch kein, was wir an unserer Gesellschaft verändern müssen um das so aggressive Diskriminierungen keinen Nährboden finden. Diskriminierung basiert auf unterdrückendem, autoritären Verhaltens. Wie autoritär und unterdrückend es ist entscheidet sich nach dem was Du bist – Kind, Frau, behindert, Latino, etc..
        Nur so funktioniert es Menschen die genau die selben Rechte und Pflichten haben in einen Zustand zu versetzen der Ihnen klarmacht „Du hast nicht die selben Rechte“ weil ich das so will.
        Die Erfahrung einer so klaren Form von Diskriminierung mit zeitlicher Frist lässt den Blick in eine Welt zu die man sonst nur vom Hören sagen kennt, oder gar nicht bewusst wahr nimmt weil man selbst schon dabei ist zu diskriminieren, sei es sich selbst oder andere. Wir sehen gerne immer nur das was wir sehen wollen und blenden vieles andere aus. Hier erleben wir, dass es zu allem eine Steigerung gibt und wer sitzt auf der untersten Sprosse der Leiter und ist der Fußabtreter? Wir können durch solche Workshops lernen noch viel sensibler zu werden und noch genauer darauf zu achten wie man sich verhält gegenüber unserer Umwelt.
        Gerne bevorzuge ich den sanften Weg von Scary Guy, aber leider sind gerade Erwachsene dafür sehr wenig empfänglich (Vorurteile spielen da eine große Rolle). Daher auch der autoritäre Stil von Frau Elliott. Wer nicht teilnehmen will kann den Raum verlassen und hat eine wichtige Lektion gelernt. Wer daran teilnimmt lernt, dass was so viele Menschen ertragen und erdulden müssen wo eine privilegierte Minderheit nur zusieht und theoretisch diskutiert was man ändern könnte.
        Wenn Sie noch einen sanften Weg haben der aus der Praxis kommt und eine nachhaltige Auswirkung zeigt, teilen Sie Ihn uns mit und ich bin sofort mit dabei diesen mit zu unterstützen. Aber aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich bisher sagen, dass nichts so effektiv ist wie die Praxis des Erlebens wenn es um Diskriminierung und deren Auswüchse angeht.

        • erzaehlmirnix schreibt:

          Ich finde, was bei all dem nicht vergessen werden darf ist, dass „blauäugige“ Menschen ebenfalls negative Erfahrungen gemacht haben in ihrem Leben. Unter psychologischen Gesichtspunkten frage ich mich, was z.b. in jemandem vorgeht, der aus einem Elternhaus kommt mit Gewalterfahrungen. Derjenige findet sich nun unvermittelt als Erwachsener in einer situation wider, die diesem Kindheitstrauma sehr ähnlich ist und hat ggf gar nicht die Mittel um sich zu wehren.
          Es wird hier stets davon ausgegangen, dass völlig gesunde Menschen einen Tag in eine kranke Umgebung versetzt werden und aus dieser Erfahrung lernen. Einem völlig gesunden mag diese Erfahrung evtl. unangenehm sein aber er wird damit fertig. Jemand, der biographisch bereits ähnliche Erlebnisse mit sich herumträgt (Gewalt, Mobbing, etc) wird darüber evtl dekompensieren.
          Es ist m.E. gedankenlos, sowas zu tun. Die Teilnehmer müssen jederzeit wieder auf eine Meta-Ebene wechseln können, sonst geht man bewusst das Risiko ein Menschen zu (re)traumatisieren. Und es trifft keine „bösen Nazis, die das verdient haben“ sondern Menschen, die interessiert sind und an sich arbeiten möchten.

        • susanna14 schreibt:

          „Aber nein, beschwert hat man sich hier, dass Erwachsene, mündige Bürger die im Leben stehen und Ihren Platz in der Gesellschaft haben sich freiwillig diesem Prozedere aussetzen obwohl Sie ganz klar NEIN sagen und den Workshop verlassen können (siehe Szene am Anfang „schreiben Sie Ihren Namen so dass ich Ihn lesen kann oder verlassen Sie das Gebäude“).“

          Natürlich können sie die Situation verlassen. Eine der jungen Frauen in „The Angry Eye“ und zwei der Personen in „How racist are you?“ tun ja auch genau das. Allerdings ist es nicht ganz so einfach, die Situation zu verlassen, wie es scheint. Auch Erwachsene sind manipulierbar, wenn auch weniger als Kinder (und in den Filmen lässt sich deutlich sehen, dass die Leute umso weniger manipulierbar sind, je älter sie sind), und Jane Elliott setzt bewusst Manipulationsmethoden ein, indem sie erzählt, dass diese Menschen in diesem Workshop wichtige Erfahrungen machen und dass sie, wenn sie gehen, zeigen, dass sie nicht imstande sind, auszuhalten, was PoC ihr ganzes Leben lang aushalten.

          Das Problem ist auch nicht Jane Elliotts autoritäres Verhalten in der Spielsituation. Das Problem ist ihr autoritäres Verhalten in den Meta-Situationen (und im Interview am Ende von „How racist are you?“ welches zeigt, dass ihr autoritäres Verhalten längst keine Rolle mehr ist, die sie spielt.) Das andere Problem ist die fehlende Trennung von Meta-Situation und Spielsituation, was an und für sich schon verhindert, dass sie ihr autoritäres Verhalten ablegt.

          Ich habe im Prinzip auch nichts gegen Rollenspiele, in denen jemand eine Weile lang in die Rolle von jemandem schlüpft, der diskriminiert wird. So etwas kann eine wertvolle Erfahrung sein. Was bei Jane Elliotts Seminaren fehlt, ist die Vor- und Nachbereitung.

          Ich habe zur Vorbereitung des Texts ein Buch von Phil Cohen gelesen: Cohen, Phil 1994: Verbotene Spiele. Theorie und Praxis antirassistischer Erziehung.
          Hamburg: Argument-Verlag. Dort wird ein Konzept zur Arbeit mit Grundschulkindern vorgestellt, das auch funktioniert hat. Vielleicht interessiert Sie das. Ansonsten empfehle ich die Texte, die ich ganz unten in meinem Blogpost verlinkt habe. (Ich selbst bin keine Sozialpädagogin.)

          Andererseits bezweifle ich, dass in den Seminaren von Jane Elliott wirklich etwas gelernt wird, gerade weil die Misshandlung unspezifisch ist und weil die Vor- und Nachbereitung fehlt. In einem der Texte, die ich gelesen habe (der von Franziska Roßmann) wird vermutet, dass das Problem Jane Elliotts behaviouristisches Lernmodell ist, das davon ausgeht, dass Menschen konditioniert werden können. Aber durch Konditionierung verändern sich keine Einstellungen und Überzeugungen: Man lernt nur, den Mund zu halten, wenn man weiß, dass man für das, was man gerne sagen würde, sanktioniert wird. Vielleicht können Sie sich auch noch mal den Kommentar von tante kommunismus durchlesen.

  7. Trippmadam schreibt:

    Ich bin ein bisschen spät dran, aber ich hatte nach Informationen über Jane Elliot gesucht, weil im Rahmen der Münchner Integrationstage der Film „Blue Eyed“ gezeigt werden soll, und ich mir nicht sicher war, ob ich ihn mir ansehen soll bzw. dies überhaupt will. Der Blogeintrag, die Links und auch die Kommentare haben mir geholfen, meine ganz persönliche Entscheidung zu treffen. Danke dafür.

    • susanna14 schreibt:

      Gern geschehen! Den Film anzusehen halte ich nicht für ein Problem – man kann ihn ja anschließend kritisch diskutieren. Aber in eines ihrer Seminare (oder der Seminare nach ihrem Konzept) würden mich keine zehn Pferde bringen.

      • Trippmadam schreibt:

        Ich habe nicht das Wissen, um mich theoretisch mit den Inhalten dieser Workshops auseinanderzusetzen. Allerdings habe ich über Jahre Erfahrungen mit physischer und psychischer Gewalt gemacht, und ich erkenne das Muster wieder. Allein das zu sehen war problematisch für mich, und deshalb könnte ich diese Workshops nicht unbedingt für Menschen mit Gewalterfahrungen empfehlen.

        • susanna14 schreibt:

          In der Tat, das sind vertraute Muster. Ich vermute, dass andere Menschen sie noch viel genauer analysieren könnten als ich es kann. Ich würde diese Workshops niemandem empfehlen, auch nicht Menschen ohne Gewalterfahrung: Niemand hat es „verdient“, sich auf diese Weise schikanieren zu lassen, und niemand lernt etwas dadurch. Die Filme sind sehr anstrengend zu sehen – ich war am Ende froh, als ich mit dem Text fertig war. Ich bin aber auch froh, sie gesehen zu haben, so dass ich jetzt weiß, worüber ich rede, aber ich glaube, man muss sie nicht gesehen haben.

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  9. tommittelbach schreibt:

    Hat dies auf nachwachsenderrohstoff rebloggt und kommentierte:
    Im Zuge meiner Internetrecherche zu antirassistischen Workshops im Netz bin ich auf diesen Blog gestossen. Jane Elliot wird von den meisten unreflektiert aufgenommen und übernommen. Ich finde diese Ausführungen sehr interessant. Nichts desto trotz kann man meiner Meinung nach doch sagen, dass der Grundansatz, einzelne Personen anhand ihrer Augenfarbe in eine diskriminierte Position zu bringen und somit einen emotionalen Zugang zum Thema Rassismus zu schaffen, ein guter ist. Ich werde in meinem Workshop mit SchülersprecherInnen verschiedener Schulen im Rahmen der SMV-Weiterbildung ein ähnliches Modell anwenden. Ich berichte dann.

  10. Philipp schreibt:

    Habe erst die letzten Tage von Jane Elliot gehört (über die ZDF-NEO-Dokumentation). Ich danke Ihnen für diese fundierte Kritik! Mein Zweifel war erwacht, als ich in den verschiedenen Filmen über Jürgen Schlicher und Jane Elliot mitbekam, dass die „Abrecher“ der Workshops nicht in die Nachbesprechung geholt wurden – wozu sie m.E. ein Recht gehabt hätten, weil sie genauso Menschen sind wie alle anderen und sich lediglich anders verhalten haben. Nach dem Lesen Ihrer Kritik habe ich nun auch den Film über den britischen Workshop gesehen und musste lachen, als das Team (die „Experten“) hinter den Monitoren genau das machten, was Diskriminierung u.a. ausmacht: Sie unterstellten den protestierenden „Blueeyes“, dass sie Rassismus leugnen, obwohl sich die „Blueeyes“ eindeutig und mit bewundernswerter Klarheit gegen die Methodik des Workshops aussprachen.
    Ich habe durch die Beschäftigung mit diesen Filmen und der anschließenden Kritik etwas über mich gelernt: Obwohl mir ab der ersten Sekunde der ZDF-Neo-Dokumentation „gefühlsmäßig“ klar war, dass da etwas nicht stimmt, fühlte ich mich doch angezogen von der Autorität von Herrn Schlicher. Ich habe jetzt zwei Tage gebraucht, um das m.E. perverse System des Workshops zu begreifen. Ich wäre im Gegensatz zu der britischen Gruppe nicht in der Lage gewesen, dies während des Workshops zu tun, geschweige denn, argumentativ dagegen zu halten. Das erschreckt mich. Deshalb noch einmal: Vielen Dank für Ihre Arbeit!

  11. Philipp schreibt:

    Habe erst die letzten Tage von Jane Elliot gehört (über die ZDF-NEO-Dokumentation). Ich danke Ihnen für diese fundierte Kritik! Mein Zweifel war erwacht, als ich in den verschiedenen Filmen über Jürgen Schlicher und Jane Elliot mitbekam, dass die „Abrecher“ der Workshops nicht in die Nachbesprechung geholt wurden – wozu sie m.E. ein Recht gehabt hätten, weil sie genauso Menschen sind wie alle anderen und sich lediglich anders verhalten haben. Nach dem Lesen Ihrer Kritik habe ich nun auch den Film über den britischen Workshop gesehen und musste lachen, als das Team (die „Experten“) hinter den Monitoren genau das machten, was Diskriminierung u.a. ausmacht: Sie unterstellten den protestierenden „Blueeyes“, dass sie Rassismus leugnen, obwohl sich die „Blueeyes“ eindeutig und mit bewundernswerter Klarheit gegen die Methodik des Workshops aussprachen.
    Ich habe durch die kurze Beschäftigung mit diesen Filmen und der anschließenden Kritik etwas über mich gelernt: Obwohl mir ab der ersten Sekunde der ZDF-Neo-Dokumentation „gefühlsmäßig“ klar war, dass da etwas nicht stimmt, fühlte ich mich doch angezogen von der Autorität von Herrn Schlicher. Ich habe jetzt zwei Tage gebraucht, um das m.E. perverse System des Workshops zu begreifen. Ich wäre im Gegensatz zu der britischen Gruppe nicht in der Lage gewesen, dies während des Workshops zu tun. Das erschreckt mich. Deshalb noch einmal: Vielen Dank für Ihre Arbeit!

    • susanna14 schreibt:

      Danke für die Komplimente! Die Kritik von Leiprecht und Lange, die ich verlinkt habe, ist noch besser und fundierter als das, was ich schreiben konnte. Ein Problem des Workshops ist, glaube ich, dass eine Falle für die Teilnehmer aufgebaut wird, und zwar für alle Teilnehmer: Wenn sie protestieren, akzeptieren sie das System, wenn sie nicht protestieren, wehren sie sich gegen ein antirassistisches Training. Das kommt von der Vermischung der realen Ebene und der Rollenspielebene. Auf der realen Ebene müssen die Teilnehmer geschützt sein.

      (Ich beschäftige mich zur Zeit eher mit anderen Themen, zum Beispiel Gedenkstättenpädagogik. Es gibt manchmal Lehrer, die meinen, man könnte Jugendlichen etwas beibringen, indem man sie zwingt, sich gemeinsam in einen zu engen Raum zu zwängen, „damit sie wissen, wie das ist“. Auch dabei lernt man natürlich nichts – aber der Lehrer riskiert, dass Jugendlichen einen Panikanfall bekommen.)

  12. Julia schreibt:

    Ich finde sorry aber du hast nicht verstanden warum sie das so real macht und alle Regeln bricht, aber so ist es wohl weiße schützen ihresgleichen.

  13. TaiFei schreibt:

    „Die Tatsache, dass andere Menschen ein ganzes Leben lang misshandelt werden, ist keine Rechtfertigung dafür, die eigenen Seminarteilnehmer einen Tag lang zu misshandeln.“
    Typische Opportunisten-Logik! Diese Misshandlung kann auch in diesem Experiment problemlos JEDERZEIT abgebrochen werden und das ganz ohne Verstehen des Versuchsaufbaus. Hier wirkt unbewusst nämlich AUCH das Milgram-Experiment. Die entscheidende Gruppe ist die Brown-Eyes-Gruppe. Dieser ist es durchaus möglich dem Experiment sofort ein Ende zu setzen. Da diese aber ihre Autorität der der Versuchsleitung unterordnen, passiert das nicht. Lediglich einzelne Personen der Brown-Eye-Gruppe opponieren hier, was diese eben wie „weinerliche Trotzkanidaten“ aussehen lässt, während der Rest dieses traurige Spiel gerne weiter gewähren lässt. . Damit lässt sich das Experiment eben nicht nur kausal auf die Rassismus-Debatte anwenden, sondern zeigt vor allem das Phänomen der „Diktatur der Masse“. Mobbing-Opfer erleben genau die gleiche Situation. Wenn sich kein Blauäugiger findet, dann ist es halt der Brillenträger, der Schwule, der Farbige, der Jude, der Picklige, der Rothaarige, der häufig Kranke oder der „sexuell Perverse“.
    Sie haben also gar nicht den Sinn des Experiments verstanden. Es geht gar nicht darum den Blauäugigen die andere Seite der Medaille zu zeigen. Es geht darum aufzuzeigen, dass sich die Braunäugigen nur zu leicht dazu verführen lassen, eine diskriminierende Position einzunehmen. Die sind die wahre Zielgruppe. Wenn diese Gruppe mehrheitlich oder sogar geschlossen entscheidet, das geht mir hier zu weit, dann ist auch das Experiment beendet. Dazu muss man aber eben eigenverantwortlich UND solidarisch handeln. Das geschieht aber nicht, teils aus Bequemlichkeit, teils aus „Furcht“ vor der Gruppe bzw. dem Experimentleiter als anerkannte Autorität (Milgram-Experiment).

    • susanna14 schreibt:

      Ich bin mir nicht sicher, ob du dich nicht vertan hast und in Wirklichkeit auf den Text „endlich habe ich die Karikatur gefunden, über die sich alle aufregen“ antworten wolltest. Ich tue mal aber so, als sei der Kommentar ernst gemeint.

      Die ersten Aktionen von Jane Elliott mit ihrer eigenen Grundschulklasse, als sie noch gewöhnliche Lehrerin war, waren Experimente, ähnlich wie das Milgram-Experiment und das Stanford-Prison-Experiment. Die in den Youtube-Filmen vorgeführten Seminare aber waren Antirassismustrainings, keine Experimente. (Auch als Experimente wären sie verantwortungslos. Das Stanford-Prison-Experiment wurde beispielsweise abgebrochen, als eine Gruppe von „Wärtern“ die „Gefangenen“ in unerträglicher Weise drangsalierte.)

      Ein Teil der Links funktioniert nicht mehr. Der Text ist schon ziemlich alt, und ich überprüfe nicht in regelmäßigen Abständen, ob es noch möglich ist, die Filme zu sehen. Im dritten Film, der ein Seminar in Großbritannien dokumentiert, werden tatsächlich einige „Braunäugige“ vorgestellt, die sich gegen die Seminarleiterin stellen. Die Seminarleiterin ist nicht begeistert, sondern stellt sich auf eine Weise gegen diese „Braunäugigen“, dass einer von ihnen das Seminar verlässt.

      Auf jeden Fall aber sollte es eine Nachbesprechung geben, die mehr ist als ein Appell der Seminarleiterin. In dieser könnte sie deutlich machen, wie es gemeint war. (Ein Seminar ist eben keine Karikatur.) Außerdem müsste sie, angesichts der Tatsache, dass in aller Regel die Braunäugigen mitmachen und sich nicht gegen die Unterdrückung der Blauäugigen stellen, ihr Seminarkonzept überdenken und sich etwas einfallen lassen, womit sie den Braunäugigen vielleicht noch ein paar Strategien in die Hand geben kann, wie sie die Unterdrückung der Blauäugigen bekämpfen können.

      Ansonsten empfehle ich den Text von Lang und Leiprecht, und vielleicht, falls die Links nicht mehr funktionieren, empfehle ich, eigenständig nach Filmen über Jane Elliotts Seminare zu suchen, sich diese anzusehen und insbesondere auf Kommentare der Seminarleiterin zu achten.

  14. TaiFei schreibt:

    „Die ersten Aktionen von Jane Elliott mit ihrer eigenen Grundschulklasse, als sie noch gewöhnliche Lehrerin war, waren Experimente, ähnlich wie das Milgram-Experiment und das Stanford-Prison-Experiment. Die in den Youtube-Filmen vorgeführten Seminare aber waren Antirassismustrainings, keine Experimente.“
    Ja eben und die Braunäugigen versagen!
    Sie machen einen fatalen Fehler bei der Beurteilung.: „Ich fasse nun den Ablauf eines solchen Seminars zusammen, wie er sich aus Sicht der “Blauäugigen” darstellt“ Sie betrachten das Seminar aus Sicht der Blauäugigen. Darum geht es doch aber beim Antirassismustraining (wobei ich das eher als Antidiskriminierungstraining sehe) nicht. Diskriminierung geht doch IMMER von einer objektiven, manchmal sogar subjektiven Mehrheit aus und die Diskriminierten suchen sich ihre Position NIE aus. „…anstatt dass sie sich aussuchen, welcher Gruppe sie angehören wollen, es werden keine Grenzen eingehalten…“ Ein „aussuchen“ würde den Sinn ja unterlaufen. Niemand sucht sich eine Diskriminierung aus!
    „Eine solche Behandlung ist nicht das, was man erwartet, wenn man an einer Fortbildung oder an einem Seminar zu sozialen Kompetenzen teilnimmt. Normalerweise erwartet man einen einigermaßen erholsamen Nachmittag (erholsamer als Arbeit oder gewöhnliche Seminare), wo Spielchen gespielt und bunte Moderatorenkärtchen an Pinnwände geklebt werden, aber nicht, dass Menschen gezielt zum Weinen gebracht werden. Eventuell erwartet man ein Rollenspiel – aber kein solches.“
    Genau hier kommt das Milgram-Experiment zum Tragen. Ein Antidiskriminierungstraining erscheint ja erst einmal als eine gute Sache. Der Seminarleiter wird als leitende Autoritätsperson akzeptiert, der schon weiß, was er zu machen hat und was das Beste ist. „Ein Problem besteht allerdings darin, dass de facto die Braunäugigen in erster Linie als Zuschauer und Verstärker Jane Elliotts dienen.“ Genau hier irren Sie dann aber. Die Braunäugigen sind die EIGENTLICHE Zielgruppe. Zwar werden sie zunächst „eingeweiht“ im Laufe der Veranstaltung müssten diese aber bemerken, dass die vorgestellten Thesen der Seminarleitung eigentlich immer abstruser werden, bzw. bei der anderen Gruppe ein Leidensdruck aufgebaut wird. Dennoch ist die Mehrheit der Braunäugigen bereit das Seminar fortzusetzen, da es ja einem „höheren“ Zweck dient. Sofern einzelne der Brauäugigen ausscheren, werden sie diskreditiert (siehe auch Gutmensch-Debatte). Die Braunäugigen sind also bereit, jedes noch so abstruse Argument und den steigenden Leidensdruck zu akzeptieren ja zu unterstützen, weil hier ein angeblich höheres Ziel vorgeschoben wird. Genau da sind wir bei meinem Eingangsurteil „Opportunisten-Logik“ Jeder Braunäugige der nicht opponiert, erfüllt also „nur“ seine „Pflicht“, die Verantwortung wird auf den Seminarleiter bzw. die Gruppe abgeschoben. Man macht ja nur seinen Job. Im Extremfall sorgt man letztendlich nur dafür, dass die Züge ins Vernichtungslager pünktlich und zuverlässig fahren. Genau DAS ist der Punkt! Sofern die Braunäugigen das erkennen würden, könnten Sie jederzeit das Experiment beenden. Allein aber schon das „Drei-Affen-Prinzip“ ist jedoch bereits eine Unterstützung jeglicher Diskriminierung. Indem Sie der Seminarleitung das moralische Problem zuschieben, machen Sie es sich sehr bequem. Die Seminarleitung ist nur der Akkumulator. Die Verantwortung liegt bei der Gruppe der Braunäugigen. Nur eine gesellschaftliche Mehrheit trägt die Diskriminierung. Einzelne Personen oder Gruppen, welche bestimmte Diskriminierungen propagieren, haben allein gar nicht die Macht diese umzusetzen.

    Abschließend noch einige Bemerkungen
    „Ihnen wird erklärt, dass das, was sie gerade durchgemacht haben, nichts ist im Vergleich zu der physischen Gewalt, die andere Menschen durchmachen“ Mit dieser Behauptung wird i.d.R. eine gesellschaftliche Diskriminierung oft verharmlost. Oft wird gesagt, so schlimm sei dass alles gar nicht. Tatsächlich ist doch das Hauptproblem oft schon darin gegeben, dass die Mehrheitsgesellschaft die Hoheit über den Diskriminierungsbegriff an sich reißt. Sie legt i.d.R. fest, was genau Diskriminierung ist und was nicht. Daher kann es dann dazu kommen:
    „Dass sie Unterdrückungsmethoden verwendet, die nicht spezifisch für Rassismus sind, hat zur Folge, dass viele der “Blauäugigen” sich an Situationen erinnert fühlen, die sie schon erlebt haben“
    Der Rassismus-Begriff ist in seiner recht engen Definition ja selten ausreichend, weshalb Kunstgriffe die Rassismus ohne Rassen usw. vor sich hin blühen. Letztendlich sind das aber alles nur Formen einer Diskriminierung, die letztendlich JEDEN treffen kann. Das sollte man sich immer bewusst machen, sobald man in die Versuchung gerät mehrheitskompatiblen Ideologien unreflektiert hinterher zu laufen.

    • susanna14 schreibt:

      Ich sehe weiterhin nichts, was Ihre Behauptung stützt, die Braunäugigen seien die eigentlichen Adressaten des Seminars. Elliotts Schlussworte an die TeilnehmerInnen stehen dem entgegen. Natürlich sollten erwachsene SeminarteilnehmerInnen als Braunäugige sich gegen das Seminarkonzept wenden, aber dies entbindet Jane Elliott nicht von der Verantwortung, das Seminar abzubrechen, wenn es zu viel wird, und außerdem sollte sie, wenn die „Braunäugigen“ das nicht von selbst gemerkt haben, diese nach dem Seminar über den eigentlichen Zweck aufklären.

      Weitere Kommentare von Ihnen mit dieser absurden Interpretation werde ich nicht freischalten.

      • Philipp Schaller schreibt:

        Besonders lachen musste ich bei den Kommentar-Sätzen: „Weiße schützen ihresgleichen.“ und „Typische Opportunisten-Logik!“ Das sind Sätze, die auch auf den tollen Plakaten hätten stehen können, die im Seminarraum von Elliot und Schlicher hingen. Ich glaube, es ist so grundsätzlich: Rassismus ist menschenverachtend, Elliots und Schlichers Seminare sind auch menschenverachtend. Letztere mit ersterem zu rechtfertigen, ist absurd. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Realebene und Seminarebene werden vermischt, das ist die Falle – das scheint mir der wichtigste Schlüssel in susanna14s Argumentation zu sein. Ich kann mit meinem Sohn nicht „Verstecken“ spielen und ihn dann bestrafen, dass er sich vor mir versteckt hat.

        Wenn ich hier die Kommentare lese, muss ich wieder einmal feststellen: Blauäugige kapieren es einfach nicht! Jane, helfen Sie!

  15. Romina schreibt:

    Ein toller Beitrag. Mein Kompliment für die ruhigen und sachlichen Antworten auf alle – auch die absurden – Kommentare. Ich habe Jane Elliott und ihre Methode gerade erst „entdeckt“. Ich war ziemlich geschockt über ihre autoritäre und abwertende Art, als ich mir Videos ihrer Workshops (mit Erwachsenen) auf Youtube angesehen habe. Es ist erstaunlich, wieviel unreflektierte Zustimmung Elliott erhält, ohne dass zumindest die Art kritisiert wird, wie sie mit den Teilnehmern ihrer Seminare umgeht. Dabei ist sie selbst nicht frei von unbewußten rassistischen Überzeugungen. In „The Angry Eye“ sagt sie z.B.: „Are our psychologies the same? Psychologies of Whites are not the same as the psychologies of Blacks … or Native Americans or Latinos or Asian Americans…“ (The Angry Eye, Jane Elliott, 09.03.2015: https://www.youtube.com/watch?v=GyIcXmXuakQ ; ab Min 47:25, abgerufen am 23.05.16). Das ist ziemlich starker Tobak für einen antirassistischen Workshop!

    • TaiFei schreibt:

      „In „The Angry Eye“ sagt sie z.B.: „Are our psychologies the same? Psychologies of Whites are not the same as the psychologies of Blacks … or Native Americans or Latinos or Asian Americans…“ (The Angry Eye, Jane Elliott, 09.03.2015: https://www.youtube.com/watch?v=GyIcXmXuakQ ; ab Min 47:25, abgerufen am 23.05.16). Das ist ziemlich starker Tobak für einen antirassistischen Workshop!“
      Ist kein starker Tobak, Sie haben es aus dem Kontext gerissen.

      • susanna14 schreibt:

        Ich habe mir die Stelle angesehen. Man kann sie in der Tat so interpretieren, als meine Jane Elliott, dass die unterschiedlichen Psychen Folgen der Unterdrückung sind. Ganz eindeutig ist die Szene allerdings nicht. Unangenehm ist jedoch vor allem der apodiktische Ton, mit dem sie ihre Meinung verkündet. Die Zweiteilung der Menschheit in Unterdrücker (Weiße) und Unterdrückte (Rest der Menschheit) halte ich auch für zu simpel.

  16. susanna14 schreibt:

    Vielen Dank für Ihren freundlichen Kommentar! Ich bin zur Zeit nicht mehr im Thema drin und kann daher nicht ausführlich antworten, aber ich habe mich sehr gefreut.

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