Regression in den Weihnachtsferien: Über den Hobbitfilm

Die Warnung von vorhin gilt noch immer: nichts Politisches, nur meine Leidenschaft für Fantasy, die seit meinen Teenagerjahren überlebt hat. Dieses Mal schreibe ich über den Film selbst.

Erst die „bottom line“: mir hat der Film gefallen. Ich wusste natürlich auch, was ich von Peter Jackson erwarten konnte (Kampfszenen, tolle Tricktechnik) und was nicht (Ruhe, Subtilität), so dass mich gewisse Punkte nicht enttäuschen konnten, etwa, dass zu viel gekämpft wird, dass manche Punkte „für Doofe“ erklärt werden oder dass die Szene im Gebirge mit den Steinriesen übertrieben ist: Gewitter und Steinschlag im Hochgebirge sind auch ohne alle phantastischen Zusätze sehr gefährlich. (Tolkien wusste das, und die entsprechende Szene im Buch macht es deutlich.)

Was mir Spaß macht: der Detailreichtum und die Art, wie die Zwerge liebevoll gestaltet sind, so dass sie (wenn auch mit Vorbereitung, und erst beim zweiten Sehen) voneinander unterscheidbar sind. Die Buchvorlage gibt wenig her, aber die Filmemacher haben sich große Mühe gegeben. Die großen Landschaften sind schön anzusehen, und immer wieder schimmert Humor auf. Mein Eindruck ist, dass Jackson sich mehr Zeit für ruhige Szenen nimmt als im Herrn der Ringe: das Rätselspiel mit Gollum wird nur ein einziges Mal unterbrochen, und auch für die Eingangszene (eines der schönsten Kapitel des Buches) nimmt er sich ausreichend Zeit. Die Episodenstruktur des Buches (man kann sich gut vorstellen, wie Kindern jeden Abend ein weiteres Abenteuer erzählt wird) geht leider etwas verloren, indem der Ork Azog als episodenübergreifender Antagonist eingeführt wird.

Auf die Nebenhandlung mit Radagast oder die Verhandlungen zwischen Galadriel, Saruman, Elrond und Gandalf hätte ich verzichten können, außerdem auch auf den Vorspann, der den Angriff Smaugs erzählt, obgleich er schön anzusehen ist. Tolkiens Romane sind immer dafür gerühmt worden, dass sie Tiefe gewinnen, indem sie in eine Welt eingebettet sind, in der außer der Handlung des Buches noch viel mehr passiert. Ein wesentliches Mittel, dies zu erreichen, sind die Geschichten, die erzählt werden und den Hintergrund der eigentlichen Handlung bilden. Wenn diese erzählten Geschichten nun zum Teil der Filmhandlung werden, sind sie kein Hintergrund mehr. (Es gibt noch ein anderes Problem, das ich weiter unten erläutern werde.)

Nun zu den Veränderungen, die der Film gegenüber dem Buch vornimmt, und was sie für Folgen haben:

Erst einmal ist der Film viel gewalthaltiger als das Buch. Das betrifft zunächst einmal die Zwerge: sie machen sich nicht mehr völlig unzulänglich vorbereitet auf den Weg zum Erebor, „bewaffnet“ nur mit ihrem Idealismus und der Überzeugung, den Schatz gewinnen zu können, weil er ihnen rechtmäßig zusteht. Sie sind Krieger und folgen nun tatsächlich Kriegerkodex: „Loyalty, honour, a willing heart – I cannot ask for more“, sagt Thorin über sie (im Film zu Balin, als dieser ihn noch einmal fragt, ob er wirklich auf diese Reise gehen will, hier kann man die Worte im Trailer 2 hören (ab Minute 1.50)). Sie müssen immer noch häufig fliehen, da sie meistens einer Übermacht gegenüberstehen, aber sie sind nicht mehr so hilflos wie vorher – und deswegen auch keine Märchenhelden, deren Erfolg in erster Linie darauf beruht, dass sie von allen Seiten Hilfe erfahren. (Dabei sind die Kampfszenen in den Orkhöhlen sehr unrealistisch: man bekommt nicht den Eindruck, dass die Orks sich wehren.)

Der Actionlastigkeit des Films im Vergleich zum Buch betrifft auch Bilbo. Er verwendet sein Schwert viel früher, schon gegen die Orks im Nebelgebirge, und nicht erst um Gollum zu bedrohen und dann die Riesenspinnen zu bekämpfen. Er tötet einen Warg und später den Ork, der gerade Thorins Hals abzuschneiden will. Dabei ist die Art und Weise, wie er mit dem Schwert rumfuchtelt, um Gollum zu bedrohen, glaubwürdig, der Sieg über den Warg und den Ork sind es aber nicht. Schwertkampf ist etwas, was man lernen muss, und dann muss man noch lernen, die Nerven zu behalten, wenn es ernst wird. Beides scheint für Bilbo kein Problem zu sein.

Bilbo ist derjenige, der die Zwerge vor den Trollen rettet (der sie allerdings auch in die Bredouille bringt.) Dadurch wird seine Entwicklung beschleunigt. Im Buch verdankt er seinen Wandel vom Ballast zum unentbehrlichen Helfer der Zwerge dem Ring. Kombiniert mit der für Hobbits typischen Lautlosigkeit hilft ihm der Ring, nicht wahrgenommen zu werden: eine glaubwürdige Erklärung für Bilbos neue Fähigkeit, den Zwergen in allen möglichen Situationen aus der Patsche zu helfen. (Im Film gibt es keine solche glaubwürdige Erklärung.)

Es gibt ausführliche Auseinandersetzungen darüber, ob es nun gut war, dass Bilbo mit der Gruppe mitgekommen ist oder ob er lieber hätte zuhause bleiben sollen. Nicht nur die Zwerge, sondern auch Bilbo zweifeln, ob seine Entscheidung richtig war. Es beginnt, als er im Gebirge abstürzt und von Thorin gerettet werden muss, wobei Thorin selbst in Lebensgefahr gerät. Als Thorin wieder in Sicherheit ist, erklärt er, der Hobbit hätte nie mit ihnen mitkommen sollen – er sei in dem Moment verloren gewesen, in dem er mit ihnen aufgebrochen ist, und er würde nie zu ihnen gehören. Als sie dann in einer Höhle Unterschlupf gefunden habe, ist Bilbo kurz davor, die Gruppe zu verlassen und nach Rivendell zurückzukehren. Er stimmt Thorin zu, er könne nie zu den Zwergen gehören, er sehne sich nach seiner Heimat, während die Zwerge gar nicht wissen, was das sei. Bofur, mit dem er spricht, schaut betreten drein und wünscht Bilbo Glück.

Als Bilbo, Gandalf und die Zwerge das Nebengebirge unterquert haben, erklärt Bilbo, dass er den Zwergen helfen will, ihre Heimat zurückzugewinnen, und wenige Szenen später rettet er Thorin das Leben, als dieser von Azog und seinen Orks besiegt wurde. Thorin dankt ihm dafür. Die Szene mit Bofur berührt, die Reden, die erst von Bilbo, dann von Thorin gehalten werden, wirken aufgesetzt: als wollte Jackson für alle klarstellen, dass Bilbo jetzt wirklich den Zwergen helfen will und dass Thorin ihn akzeptiert hat. (Was ich vermisse, ist Bilbos Dank an Thorin dafür, dass dieser ihm nach seinem Absturz im Gebirge das Leben gerettet hat. Thorins Zorn in dieser Szene kann ich dagegen verstehen. Er ist nicht nett, aber er hat Recht. Jemand, der seine Fähigkeiten im Berg überschätzt, kann die ganze Gruppe in Gefahr bringen.)

Nun zu Thorin. Als ich den Film zum ersten Mal sah, war ich wieder genauso verzaubert wie mit zwölf. Nun, da ich das Buch jetzt wieder gelesen habe, denke ich: Die Filmemacher und der Schauspieler sind genauso auf Thorins „königliches“ Auftreten hereingefallen wie ich als Zwölfjährige. Thorin wird absolut ernst genommen; er ist ein „legendary warrior“, der in Moria Heldentaten vollbracht hat, kein „very important dwarf“, der sich zu gut dafür ist, beim Abwasch mitzuhelfen. Sein Ziel ist von Anfang an nicht der Drachenhort, sondern der Einsame Berg selbst. Es geht nicht um Gold, sondern um das viel ehrenwertere (aber gefährlichere) Ziel, die Heimat zurückzugewinnen und das Königreich unter dem Berg wiederherzustellen.

Thorin wird von Anfang an dargestellt als jemand, den man mögen kann: jemand, der sich um andere kümmert, schon als junger Zwerg im Einsamen Berg. Beim Angriff des Drachen zerrt er Balin hinter eine Säule, er stützt seinen Großvater bei der Flucht. Die schönste Szene im Film fand ich, wie er bei der Flucht in einen geheimen Weg wartet, bis alle Zwerge untergekommen sind. Als letzten ruft er Kili, der in einiger Entfernung zum Eingang Orks erschießt, und erst nach ihm sucht Thorin Sicherheit

Man hat ihm einen ernsthaften Grund für seinen Konflikt mit den Elben gegeben: sie haben die Zwerge nicht unterstützt, als sie vor Smaug flohen. Aus diesem Grund möchte er nicht Rivendell besuchen und Elrond um Rat bitten. Gandalf sagt ihm, er sei nicht sein Vater oder sein Großvater, und er müsse die Vergangenheit ruhen lassen – ein Satz, der wenig Sinn ergibt. Sinnvoller wäre: Elrond ist nicht Thranduil.

Er hat außerdem einen Gegner bekommen, der besiegbar ist, nämlich Azog. Noch hat er ihn nicht besiegt (ich vermute, dies geschieht erst im letzten Film), aber es ist prinzipiell machbar. Der Drache ist mehrere Nummern zu groß für Thorin. Das Problem an Azog ist leider, dass die Geschichte, die ihn und Thorin verbindet (als Gegner) eine sehr einfallslose Rachegeschichte ist, die Thorins Persönlichkeit nicht interessanter macht.

Es gibt einzelne Momente, die andeuten, dass er „vom rechten Weg“ abkommen wird, etwa, wenn er sich Gandalf gegenüber störrig verhält und nicht auf seinen Rat hören will. (Im Buch sind die meisten Konflikte zwischen Gandalf und Thorin eher komischer Natur und zeigen die Eitelkeit beider Figuren.) Aber im großen und ganzen ist er Sympathieträger, und erinnert an auf den ersten Blick an Aragorn, außer dass Aragorn nicht wirklich nach der Königswürde strebt, sondern sie eher widerwillig annimmt.

Durch all das wird Thorin zu dem, was Zwerge laut dem Hobbit nicht sind: ein Held. Allerdings deutet schon im Hobbit sein Beiname an, dass er durchaus kämpfen kann. In den Anhängen zum Herrn der Ringe wird erklärt, wie Thorin zu diesem Beinamen kam, nämlich in den Kriegen zwischen den Zwergen und den Orks in Moria. In den Nachrichten aus Mittelerde gibt es weitere Berichte darüber, wie es zur Fahrt der Zwerge zum Erebor kam, und warum Gandalf diese Reise organisiert und unterstützt hat: der Nordosten Mittelerdes, mit dem Düsterwald/Grünwald und der Gegend um den einsamen Berg, sollte wieder zu einer friedlichen Gegend werden, die von „guten Völkern“ (Menschen, Zwergen, Elben) bewohnt wird. Ansonsten hätte Sauron womöglich im ersten Schlag nicht Gondor, sondern Bruchtal und Lorien angegriffen, was für die gute Seite im Ringkrieg viel gefährlicher gewesen wäre. Thorins Unternehmung nutzt also nicht nur ihm, sondern ist Teil von Gandalfs allgemeiner Strategie im Kampf gegen Sauron.

Ich verdanke diesen Hinweis einem Aufsatz von Adam Roberts, „Die vielen Hobbits des J.R.R. Tolkien“ (in „Tolkiens größte Helden: wie die Hobbits die Welt eroberten“ herausgegeben von Bernhard Hennen. Ich empfehle nicht, das Buch zu kaufen – der genannte Aufsatz ist der beste Text.) In diesem Aufsatz wird von zwei verschiedenen Versionen des Hobbit gesprochen, der ursprünglichen und einer zweiten, die aus Änderungen im ursprünglichen Text und den Texten in den Anhängen und in Nachrichten aus Mittelerde besteht. Der Autor zeigt, dass verschiedene Probleme entstehen, wenn man die Fahrt zum Erebor als Teil eines umfassenden Plans begreift: vor allem sind Gandalfs Entscheidungen ziemlich irrational. Er hätte lieber die Menschen der Seestadt ansprechen sollen statt eines Hobbits, der eigentlich kein Interesse an diesem Abenteuer hat, und einer Gruppe von Zwergen, die ständig gerettet werden müssen. (Mir fällt da vor allem Bard ein, der doch genauso viel Grund wie Thorin hat, den Drachen zu hassen. Da hätten wir dann unseren Helden.)

Der Film hat sich entschlossen, die zweite, heroische Version des Hobbit zu erzählen, in der Bilbos Abenteuer nicht einfach nur ein unterhaltsames, nicht ganz ernst zu nehmendes Abenteuer sind, eine Parodie auf alte Sagen von Drachentötern, sondern Teil des Kampfes zwischen Gut und Böse in Mittelerde. Dazu gehört, dass die Zwerge, insbesondere Thorin, weitaus heroischer dargestellt werden als im Buch, und dazu gehört die gesamte Handlung um Radagast und den Weißen Rat, der in Bruchtal tagt. Ich vermute, dass wir Gandalfs Kampf gegen den Nekromanten sehen werden.

Ich gehöre zu den wenigen, die den Hobbit lieber mögen als den Herrn der Ringe (aber anscheinend ist diese Haltung häufig anzutreffen unter Menschen, die mit Tolkiens Philosophie wenig anfangen können.) Ich hätte es vorgezogen, wenn Peter Jackson klar gemacht hätte, dass der Hobbit eine andere Art von Buch/Film ist als der Herr der Ringe – es wäre auch der einzige Weg zu vermeiden, dass der Hobbit ständig mit dem Herrn der Ringe verglichen wird und den Vergleich verliert. Peter Jackson hat sich entschieden, den Hobbit dem Herrn der Ringe anzunähern, indem er sich an die Anhänge und den Bericht aus Nachrichten aus Mittelerde hält, und nimmt in Kauf, dass Kinogänger, die das Buch nicht kennen, den Hobbit für ein zweitrangiges Prequel halten und sich an die Episoden I-III von Star Wars erinnert fühlen.

Er handelt sich aber noch ein weiteres Problem ein: Mit der Idee, dass die Fahrt zum Erebor Teil eines umfassenden Plans ist, werden die Teilnehmer dieser Fahrt zu Schachfiguren in Gandalfs Spiel, die gegen das Böse eingesetzt werden. Thorins durchaus bestehender Wunsch nach Rache und Rückkehr in die Heimat wird genutzt, um ihn gegen alle Vernunft zu dieser Fahrt zu bewegen. Die Unschuld der ursprünglichen Geschichte, in der sich einfach eine Gruppe auf die Reise macht, ohne irgendeinen Plan zu haben, geht verloren. (Mir läuft es kalt den Rücken herunter, wenn ich den Bericht in Nachrichten aus Mittelerde lese: Gandalf drängt Thorin, Bilbo mitzunehmen, ohne ihm einen vernünftigen Grund nennen zu können, und als Thorin Zweifel äußert, macht er ihm Vorwürfe, weil er ihn erst um Rat bittet und dann nicht auf seinen Rat hört, und er nennt ihn stolz und habgierig.)

Und da bin ich jetzt beim ersten Punkt, der mir Thorin sympathisch macht: er ist widerständig. Er lässt sich nicht so ohne weiteres benutzen. Er hat seine eigenen Ziele, die mit Gandalfs Kampf gegen das Böse, das Mittelerde bedroht, nichts zu tun haben. Seine Konflikte mit Gandalf machen ihn mir sympathisch. (Und Gandalf, den ich sonst immer mochte, wird auf einmal sehr unsympathisch.)

Der zweite Punkt hat sich für mich aus einem Interview mit dem Schauspieler, Richard Armitage, ergeben.

The Hobbit An Unexpected Journey Interview – Richard Armitage
Hier, wie in vielen anderen Interviews spricht Richard Armitage von Thorin als einem „battle-hardened warrior“. Er hat offensichtlich auch den Bericht in „Nachrichten aus Mittelerde“ gelesen, denn er weiß, dass Gandalf Thorin anspricht und die Reise vorschlägt und nicht umgekehrt. (Was problematisch ist: Eine Gruppe, die sich unbekümmert um die Gefahr auf den Weg macht, ist sympathisch, jemand, der eine Gruppe auf den Weg schickt, die den Gefahren nicht gewachsen ist, handelt unverantwortlich.) Am meisten hat mich das Ende berührt (mit anderer Jacke):

There’s a flame in him which is guttering, and it will go out if he doesn’t go on this quest, and he will die and fade away, and that line, that line of Durin will never claim this kingdom. He feels that if he doesn’t do this now – it’s, you know, a hundred years to the day that his father disappeared and he has never heard of him since. If he doesn’t do this now that will never happen, so that is quite a serious endeavour to assume, and I think that in that respect the way that he approaches that with such seriousness you could say he is his own worst enemy, but I think I would probably do the same.

Ich war erleichtert: Jemand anders, der Thorins Ziele nicht ablehnt und Thorin nicht für den Bad Guy der Geschichte hält. Und (das wird jetzt persönlich) ich fühle mich Thorin verbunden: In der Mitte des Lebens ist jemand mit dem Leben, das er sich aufgebaut hat, nicht zufrieden, obgleich dieses Leben im herkömmlichen Sinne durchaus gut ist. Es ist eben doch nicht die Heimat, für die Thorins Herz schlägt, und dann ist da noch der Groll über das Unrecht, das ihm vom Drachen angetan wurde. Wenn er sich dem nicht zuwendet, bleibt Thorins Leben ein halbes Leben. Er bricht auf, gibt sein gewohntes Leben auf, ohne dass er weiß, wohin es führen wird.

Es gibt auf Youtube und anderswo sehr viele Interviews mit Richard Armitage. Offensichtlich hat er eine treue Schar von Anhängerinnen in Großbritannien, wo er ein Fernsehstar ist. Die meisten dieser Interviews lassen mich schmunzeln: Offensichtlich hat er eine Menge gelesen, um sich über Tolkiens Zwerge zu informieren: Die Anhänge vom Herrn der Ringe, das Silmarillion, sogar die Lost Tales, aber nicht das erste Kapitel des Hobbit, wo Thorin in einer himmelblauen Kapuze mit Silberquaste auftaucht, und auch nicht das Kapitel Inside Information, wo Thorin, den Richard Armitage wiederholt als battle-hardened warrior bezeichnet, Bilbo in den Berg zum Drachen schickt. Ansonsten folgt er der konventionellen Interpretation und bezeichnet Thorin als jemanden, der an der „Drachenkrankheit“, Gier, leidet. Ich habe ein paar Abende an den Lippen von Richard Armitage gehangen (mir sind keine Interviews mit anderen Schauspielern des Hobbit bekannt, die so intensiv Auskunft über ihre Rolle und ihre Interpretation der Geschichte geben). Nach einer Weile trat jedoch ein überraschender Effekt ein: Entzauberung. Die Verzauberung eines anderen Menschen zu betrachten, heilt von der eigenen Verzauberung.

The Hobbit’s Richard Armitage – Dwarf Star Er spricht über den „horror that lies in that mountain“, und darüber, dass Thorin nicht weiß, wie er ihn besiegen soll, nur dass er seine Zwerge irgendwie zu der Geheimtür zum Berg bringen und es dann herausfinden will.

Comic Con 2012 – Richard Armitage for ‚The Hobbit‘
Er hat nicht versucht, Thorin zeitgenössicher und moderner zu machen, damit er einem heutigen Publikum zugänglich wird, sondern er hat griechische Tragödien und Shakepeare’s Königsdramen gelesen (Richard III, Henry V). Die Werte seien aber (immer noch) zeitgenössisch: Loyalty, honour, trust, camaderie.

Richard Armitage Bits at San Diego Comic-Con 14 July 2012 Ab Minute 3.37 spricht Richard Armiage über Thorin. Der interessanteste Satz ist darüber, wie Thorin sich selbst kennenlernt durch seine sich entwickelnde Beziehung zu Bilbo und seine sich verschlechternde Beziehung zu Gandalf.

Richard Armitage, James Nesbitt and Aidan Turner on ‚The Hobbit‘ dwarves Ab 0.58 spricht Richard Armitage über Thorins Beziehung zu Bilbo. Er spricht auch darüber, wie er das Silmarillion wieder gelesen hat. Er erzählt vom Nauglafring – nur dass es im Silmarillion Nauglamir heißt, Nauglafring ist der Name in den Lost Tales. (Die Lost Tales gelesen zu haben bedeutet einen fortgeschrittenen Grad an Geekdom. Ich habe sie auch gelesen, aber ich habe auch Menschen gekannt, die noch mehr gelesen haben.)

Richard Armitage interview on Strombo CBC Canada Er spricht ausführlich über seine Rolle, und bietet eine sehr eigenwillige Interpretation von dem, was die Zwerge für Tolkien bedeutet haben könnten: Er fühlt sich an das jüdische Volk erinnert, das in seine Heimat zurückkehrt. Ein paar Sätze weiter erklärt er jedoch wieder, dass das Unheil daher rührt, dass Thorin an der „Drachenkrankheit“ leidet, Habgier, und dass dies die Geschichte ziemlich aktuell mache. Wenn das nicht zusammenpasst…

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2 Antworten zu Regression in den Weihnachtsferien: Über den Hobbitfilm

  1. Reineke schreibt:

    Danke für den Bericht; bisher konnte ich mich nicht überwinden, mir den Film anzutun, aber so kann man wenigstens ein bisschen mitreden. ;=)

    Eine Frage hab ich allerdings zuerst: Der Ork soll wirklich AZOG sein, bzw ist in dem Film so benannt? Das ist doch der totale Unsinn! Azog wurde schon erschlagen, als Thorin noch ein junger Zwerg war, das ist wichtig für die ganze Vorgeschichte. Sicher, dass das nicht Bolg sein soll, Azogs Sohn? Der müsste spätestens im 3. Teil auftauchen.

    Naja, Nerd-Details…

    Zitat: „Durch all das wird Thorin zu dem, was Zwerge laut dem Hobbit nicht sind: ein Held.“

    Helden im eigentlichen Sinne gibt’s mE im ganzen Hobbit nicht, da es nicht die Mission zur Rettung der Welt ist, sondern ein auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmen (egal ob es um die Wiedererichtung des Königreichs Unter dem Berg geht, oder nur um eine Schatzsuche). Heldenhaft kann’s erst ganz am Schluss werden, wenn sich das plötzlich ändert. Und da wird auch Thorin und seine 12 Gefährten zu Helden.

    Zitat: „Ansonsten hätte Sauron womöglich im ersten Schlag nicht Gondor, sondern Bruchtal und Lorien angegriffen, was für die gute Seite im Ringkrieg viel gefährlicher gewesen wäre.“

    Naja, Sauron hat im Ringkrieg Lorien angegriffen; wenn ich das richtig erinnere, ging’s an der Stelle direkt um Smaug: Hätte es den noch gegeben, und das wiedererrichtete Königreich unter’m Erebor nicht, dann gute Nacht, Norden. Aber die Stelle fand ich auch klasse, als ich sie entdeckt habe. ;=)

    Zitat: „In diesem Aufsatz wird von zwei verschiedenen Versionen des Hobbit gesprochen, der ursprünglichen und einer zweiten, die aus Änderungen im ursprünglichen Text und den Texten in den Anhängen und in Nachrichten aus Mittelerde besteht.“

    Tolkien hat mWn den Hobbit umgeschrieben, als der HdR erschien. Im ursprünglichen Kapitel „Rätsel in der Dunkelheit“ verhält sich Bilbo Gollum gegenüber anders. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er greift ihn an oder versucht ihn zu töten. In der geänderten Version springt er unsichtbar über ihn hinweg und verschont so willentlich und bewusst sein Leben.

    Zitat: „Der Autor zeigt, dass verschiedene Probleme entstehen, wenn man die Fahrt zum Erebor als Teil eines umfassenden Plans begreift: vor allem sind Gandalfs Entscheidungen ziemlich irrational.“

    Der Text würde mich tatsächlich interessieren, denn das kann ich so nicht finden. Gandalf will Smaug aus dem Weg haben? Ich würde auch zuerst an Zwerge denken, nicht an Menschen, denn allgemein werde bzw wurden Zwerge mit Drachen noch fertig als alle anderen Wesen, und Thorin & Comp. haben auch noch einen perönlichen Grund. Dass es ein menschlicher Bogenschütze seien würde, der Smaug erschlägt, war Zufall und nicht absehbar. Auch hatte Gandalf von vorne herein geplant, in Seestadt um Hilfe bzw Unterstützung zu bitten, wie es dann auch geschah. Zumindest von Gandalfs Seite aus macht die ganze Operation mE einen durchaus geplanten Eindruck. Er hat bspw den Schlüssel zur „Hintertür“ und die Karte, und überreicht sie Thorin, dem eigentlichen Erben; nur mit Hilfe dieser „Gimmicks“ macht es für Thorin und die Zwerge überhaupt Sinn, sich auf den Weg zu machen. Es war also mE schon immer Teil des Hobbits, das Gandalf eine zentrale Figur war, die für die Operation absolut notwendig war… ohne selbst irgendein offen nachvollziehbares Interesse an Schätzen oä zu haben. Aber wie hieß e doch gleich: „Misch Dich nicht in die Angelegenheiten von Zauberern ein, denn sie sind schwierig und rasch erzürnt.“ ;=)

    Auch die „Geheimmission“ des Weißen Rates, den Geisterbeschwörer aus Dol Guldur zu vertreiben, was die ja wohl in die Filme einbauen, wird im Hobbit zwar nicht explizit erwähnt, es klingt aber an (und nur so wird Gandalfs Abwesenheit in der 2. Hälfte des Buches logisch, sonst wär die ziemlich hirnrissig).

    Zu Bilbo: Das ist tatsächlich etwas unlogisch. Ich glaub, im selben Teil der Nachrichten aus Mittelerde, die von Gandalfs Plan erzählt, wird auch erwähnt, dass Bilbo als junger Hobbit Gandalf sehr positiv bzw abenteuerlustig aufgefallen ist. Dass der Herr Meisterdieb das in der ersten Hälfte des Buches so gar nicht erkennen lässt, war wohl auch für Gandalf… schwierig. Allerdings: Selbst wenn Gandalf Bullenrassler Tuk hätte auswählen können, wieso er sich für einen HOBBIT entscheidet lässt sich nur mit einer schicksalhaften Eingebung oder dramaturgischer Notwendigkeit erklären, nicht mit Logik. Wyrd bið ful aræd, wie der Angelsachse sagt… ;=)

    Zum Abschluss: Ich hab auch das Gefühl, dass soll erklärtermaßen das Prequel zur HdR-Verfilmung sein, und gleicht sich in Stimmung, Bildsprache etc. daher sehr an diese an. Find ich eigentlich auch schade, der Hobbit hat als Buch einfach einen anderen Charakter. Wobei ich nicht sagen würde, der wäre eine Parodie. Da er sich an Kinder wendet, ist er vielleicht etwas unernster als der HdR, aber von Tolkiens Sagenwelt bis zur Darstellung Smaugs als gefährliche, intelligente Bestie ist alles dabei; von der Schlacht der Fünf Heere ganz zu schweigen. (Als ich dass mit sieben gelesen hab, hab ich geheult wie ein Schlosshund…).

    Vielen Dank nochmal und beste Grüße

    Reineke

  2. susanna14 schreibt:

    Sicher, dass das nicht Bolg sein soll, Azogs Sohn? Der müsste spätestens im 3. Teil auftauchen.

    Ja, ich bin sicher. Ich habe den Film viermal gesehen. Beklage dich bei Peter Jackson, nicht bei mir. 😉

    Helden im eigentlichen Sinne gibt’s mE im ganzen Hobbit nicht, da es nicht die Mission zur Rettung der Welt ist,

    Man kann auch ein Held sein, wenn es um weniger geht als die Rettung der Welt. In mehreren Szenen des Films rettet Thorin andere Zwerge oder auch Bilbo, und teilweise riskiert er dabei sein eigenes Leben. Das ist heldenhaft.

    Naja, Sauron hat im Ringkrieg Lorien angegriffen; wenn ich das richtig erinnere, ging’s an der Stelle direkt um Smaug:

    Ich habe nicht alles wiedergelesen. Es gab auf jeden Fall während des Ringkriegs eine Schlacht am Erebor, in der König Dain fiel. Dadurch, dass Thal und das Königreich unter dem Berg wieder errichtet worden war, waren Bruchtal und Lorien einigermaßen geschützt.

    Tolkien hat mWn den Hobbit umgeschrieben, als der HdR erschien.

    Ich habe mir jetzt den Annotated Hobbit bestellt. Die Änderungen betreffen tatsächlich in erster Linie das Kapitel mit Gollum: in der Originalversion verspricht Gollum Bilbo den Ring als Preis, falls Bilbo das Rätselspiel gewinnt. Da er den Ring nicht mehr hat, bietet er ihm dann als Ersatz an, dass er Bilbo nach draußen führt. Die wichtigste Veränderung besteht darin, dass der Ring noch nicht das Werkzeug des Bösen ist, das er im Herrn der Ringe ist: Gollum ist noch imstande, ihn herauszugeben. Mit dem Ring, wie er im Herrn der Ringe konzipiert ist, wäre das unmöglich.

    Interessanter als die Veränderungen im Text sind aber die Texte in den Anhängen zum Herrn der Ringe und der Text „die Fahrt zum Erebor“, in denen Tolkien seine eigene Geschichte neu interpretiert, und zwar aus Gandalfs Sicht.

    Ich würde auch zuerst an Zwerge denken, nicht an Menschen, denn allgemein werde bzw wurden Zwerge mit Drachen noch fertig als alle anderen Wesen, und Thorin & Comp. haben auch noch einen perönlichen Grund.

    Wie kommst du darauf, dass Zwerge besser mit Drachen fertig werden als andere Wesen Mittelerdes? Ich erinnere mich nur an einen weiteren Drachen in den Mittelerde-Geschichten, nämlich Glaurung, der von Turin Turambar, einem Menschen, getötet wurde. Smaug wird ebenfalls von einem Menschen getötet. Außerdem hätten Thorin und Company weder einen Meisterdieb noch einen Drachentöter nötig, wenn sie selbst mit Drachen fertig werden könnten. – Die Zwerge machen sich ziemlich planlos und ohne Aussicht, den Drachen töten zu können, auf den Weg zum Erebor, und von daher ist es irrational und unverantwortlich, dass Gandalf sie dorthin schickt. (Und in dem Text „die Fahrt zum Erebor“ ist es wirklich Gandalf, der Thorin anspricht, nicht umgekehrt.)

    Karte und Schlüssel machen Sinn, wenn man davon ausgeht, dass die Zwerge vorhaben, den Schatz zu stehlen (wozu es nicht nötig ist, den Drachen zu töten.) Aber wenn man das Königreich unter dem Berg wieder errichten will, ist es notwendig, den Drachen zu töten, und das können die Zwerge nicht.

    Gandalfs Abwesenheit habe ich schon beim Lesen des Buchs mit zwölf immer erwartet. Bilbo wird ausgewählt, damit die Gruppe nicht zu dreizehnt ist. Das heißt, Gandalf zählt nicht mit. Als Kind habe ich immer gedacht, dass Bilbo vor allem mitkommt, damit die Gruppe aus vierzehn Personen besteht, und weil sich sonst niemand hat finden lassen.

    Hast du mal „Nacht im Museum“ gesehen? Ich glaube, der Hobbit funktioniert ähnlich. Für Kinder ist es eine spannende Abenteuergeschicht, für Erwachsene ist es eher eine Parodie auf eine Heldensage. (Dies gilt allerdings nicht für den Teil nach dem Tod des Drachen.) Es gibt natürlich viele Momente aus alten Sagen, aber eben eher in einem komischen Zusammenhang (etwa die Zwerge, als sie bei Beorn auftauchen, oder Thorins Rede, als er Bilbo in die Drachenhöhle schickt.)

    Die „Briefe vom Weihnachtsfilm“ habe ich mal als Jugendliche geschenkt bekommen, ich mochte sie aber überhaupt nicht – für mich waren sie an der Grenze zur Blasphemie. Ich glaube, ich würde sie auch heute nicht mögen. „Farmer Giles of Ham“ wollte ich eigentlich noch einmal lesen, aber ich habe nur endlich viel Zeit. Kommt aber noch. Das ist auch so eine Geschichte von einem unwahrscheinlichen Drachentöter.

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