Kommentare zum gegenwärtigen akademischen Mainstream-Feminismus

Ich habe mal wieder anderswo, nämlich bei The Leftist Elite, Kommentare hinterlassen, die so lang sind und mit so viel Arbeit verbunden waren, dass ich sie nicht in den Tiefen des Internets verschwinden lassen will:

1. Den ersten Kommentar habe ich zum Beitrag Du darfst nichts sagen! geschrieben:

Das mit der Immunisierung, oder dem Versuch, sich zu immunisieren, nehme ich auch so wahr. Das kommt in deinem obigen Text aber nicht wirklich rüber. Und das mit dem Spalten muss, glaube ich, auch noch differenzierter gesehen werden und analysisert werden. Es stimmt ja, dass Frauen nicht alle einig sind, erstmal nicht in dem, was Feminismus sein sollte, und zweitens haben sie sehr unterschiedliche Positionen in der Gesellschaft und profitieren von diesen oder jenen anderen Privilegierungen. Das festzustellen heißt noch nicht zu spalten, und ich glaube, es ist auch ein Zeichen von Erwachsenheit, dass man akzeptiert, dass Frauen unterschiedlich sind und nicht alle ein Herz und eine Seele wie in einer Clique von Dreizehnjährigen.

Aber es gibt doch einiges zu kritisieren an der gegenwärtigen Richtung, deren Namen ich noch nicht genau kenne: Gender, oder Intersektionalität, oder Critical Whiteness. Ich glaube, Intersektionalität ist die wichtigste Form dieser Theorie. Ich persönlich nenne die Vertreterinnen die Anti-Oppression-Leute, aber vielleicht wäre Antiprivilegierungsleute exakter, weil es ihnen nur darum geht, Privilegierungen abzuschaffen. Aber darin kann linke Politik sich nicht erschöpfen. Die Einteilung der Menschheit in Gruppen, die sich teilweise überschneiden (englisch: to intersect) und die unterschiedlich privilegiert oder unterdrückt sind, und die deshalb unterschiedlich unterstützt werden müssen und auf die unterschiedlich Rücksicht genommen werden muss, kann doch kein Plan für eine bessere Welt sein. Ich hahe vor kurzem einen Vortrag über Intersektionalität von Tove Soiland gehört (von der ich sehr viel gelernt habe), und die dann sagt: es geht nur noch darum, dass im Kapitalismus alle gleich berechtigt sind.

Ein Problem, wie die Intersektionalität tatsächlich spaltet, ist, dass sie es unmöglich ist, gewisse Anliegen vorzubringen, von denen viele, wenn auch nicht alle Frauen betroffen sind. Vergewaltigungsmythen sind ein solches Problem – und darunter leiden alle Frauen, auch die, die nicht normschön sind. Denen passiert es nämlich auch, dass sie vergewaltigt werden, auch wenn sie gerade nicht leicht bekleidet durch die Gegend gehen. Möglicherweise haben die Slutwalkerinnen das nicht genügend herausgestellt, möglicherweise ist auch die Berichterstattung in den Medien schuld – aber das sollten dann doch Gründe sein, über Fehler nachzudenken und beim nächsten Mal andere Schwerpunkte zu setzen, und sich nicht gegenseitig Privilegien vorzuwerfen.

Aber wenn dann jemand kommt und sagt: Slutwalks sind schlecht, denn ich als nicht weiße und/oder normschöne Frau kann da nicht mitlaufen, dann lähmt sie erst einmal. Und im schlimmsten Fall wird der Feminismus entwaffnet.

2. Der zweite Kommentar war zum Beitrag Normschön? Rassistisch?:

Ich habe jetzt ein paarmal hin und hergeschwankt: soll ich auf die Beispiele eingehen, die du genannt hast, oder auf die allgemeine Frage, die da mitschwingt: Bin ich falsch, nur weil ich weiß, „normschön“ und jung bin? Ich habe erst während der gestrigen Mittagspause viele Notizen gemacht, die auf diese allgemeine Frage eingehen, dann habe ich gedacht, dass es besser wäre, auf die Beispiele einzugehen, die du anführst, jetzt denke ich wieder, es ist besser, auf die allgemeine Frage einzugehen. Die Beispiele sind nämlich alle so, dass meine Antwort ein „ja, aber“ wäre.

Für mich schwingt eine gewisse Fassungslosigkeit in dieser Frage mit, die mich bei dir allerdings wundert, weil du diese Frage ja schon lange kennen solltest. Ich habe diese Fassungslosigkeit auch oft bei Frauen im Fandom gelesen, wenn sie mit den Anti-Privilegierungs-Kämpferinnen konfrontiert wurden. „Was habe ich denn falsch gemacht? Ich mache doch nur, was alle um mich herum machen?“ Und dann stellt sich eben tatsächlich heraus, dass das, was alle um sie herum machen, sehr unreflektiert ist, wenn es um Menschen geht, die etwas weiter weg sind als „um sie herum“.

Aber deine Frage ist ja nicht „was habe ich denn falsch gemacht?“, sondern „was ist an mir falsch? Darf ich nicht mehr so sein, wie ich bin?“ Es ist eine andere Frage, und ich glaube, wenn sie nicht erstaunt fassungslos gestellt wird, kann sie einen Weg bieten zu dem, was an den Intersektionalitätsdebatten falsch ist. Der Artikel, von Vasili Tsianos, den du verlinkt hast, stellt das meiner Meinung nach sehr gut heraus; ich versuche mal, den Hauptpunkt mit meinen Worten zusammenzufassen: Die Frage ist doch, was macht einen Menschen aus? Macht einen Menschen aus, in welche Unterdrückungsverhältnisse er oder sie hineingeboren ist, also, ob er oder sie behindert oder nichtbehindert, Mann oder Frau, weiß oder Person of Colour ist? (Ich weiß, die Liste ist nicht vollständig.) Macht einen Menschen aus, was ihm widerfahren ist an Unterdrückung und Leid oder auch an Privilegierung – oder macht einen Menschen aus, wie er oder sie damit umgegangen ist, wie er oder sie die eigene Situation und die Situation fremder Menschen reflektiert hat, wie er oder sie insgesamt über die Welt nachdenkt? Und das gilt m.E. sowohl für die, die auf der Seite der Privilegierten, als auch für die, die auf der Seite der Unterprivilegierten stehen.

Das also als Beispiel, wie man Vorwürfe, wie du sie in den Beispielen beschrieben hast, entkräften kann – wobei ich, wie gesagt, bei allen drei Beispielen denke: Teilweise ist die Kritik berechtigt, teilweise nicht, und teilweise wird sie auf eine Art vorgetragen, die Verständigung unmöglich macht. Aber eventuell ist Verständigung sogar unmöglich – das wäre, was Tove Soiland behauptet. Sie sagt, es stecken theoretische Ansätze dahinter, die im Widerspruch zueinander stehen und die daher unvereinbar sind. (Hier ein Link zu einem Artikel von ihr: Die Verhältnisse gingen und die Kategorien kamen. Intersectionality oder Vom Unbehagen an der amerikanischen Theorie. Ich muss ihren Text noch einmal lesen, und dann auch die Literaturliste durchgehen, damit ich diesen theoreitschen Widersprüchen weiter auf die Spur komme. (Und der Violinwettbewerb ist jetzt zuende, das heißt, ich werde auch Zeit haben, deine Videolinks anzuhören.) Das Problem ist ja, dass die zugrundeliegenden Theorien oft nicht genannt werden, wenn „Sexism 101“ oder „Racism 101“-Texte ins Internet gestellt werden. Ich finde den Text, den ich meine, gerade nicht in meiner umfangreichen Linksammlung, also habe ich mal „how to react when you are called out for being racist“ gegoogelt, und habe ein schönes Beispiel gefunden: Racism 101: are you are racist?? Racism – reaction – hier wird die eigene Position als Standard vorgestellt: Racism 101 heißt ja „Anfängerkurs an der Universität“ – das, was alle im ersten Semester lernen sollten, um dann Veranstaltungen für Fortgeschrittene besuchen zu können. Wer diese Position anzweifelt – und es gibt sehr vieles an diesem Text zu kritisieren, insbesondere, dass er es nicht für möglich hält, dass jemand ungerechtfertigterweise als RassistIn bezeichnet wird – ist dann jemand, der noch nicht einmal die Basics verstanden hat.

Das ist also der erste Punkt der Gegenstrategie: die zugrundeliegenden Theorien kennenlernen und Menschen, die ohne Literaturangabe Texte ins Netz stellen, oder Dinge sagen, die alle sagen (von der Sorte gibt es sehr viele), klar machen, dass man selbst die Texte kennt, die sie nur aus zweiter oder dritter Hand kennen, und dass man ihnen 1.) zeigen kann, wo sie die zugehörige Theorie falsch verstanden haben und 2.) zeigen kann, wo die zugehörige Theorie falsch ist. Aber da bin ich erst auf dem Weg und muss noch einiges lesen und werde daher auch erst mal etwas schweigsamer sein im Netz.

Manchmal ist es natürlich auch so, dass man den unlogischen Punkt eines Textes auf den ersten Blick sieht, etwa den in den Anleitungen, wie man reagieren soll, wenn man als Rassist beschimpft wird. Dazu muss braucht es keine besondere Theorie. Oder doch – und hier habe ich wieder von Vasili Tsianos gelernt – in diesen Anleitungen wird die Subjektivität des Interaktionspartners, der einer unterdrückten Gruppe angehört, absolut gesetzt. Die Subjektivität der Person, die einer privilegierten Gruppe angehört, ist vernachlässigbar – ihre Gefühle dürfen verletzt werden. Aber um Politik zu machen, kann es nicht um die Subjektivität dieser oder jener Person gehen. Sie ist wichtig, aber sie ist nicht alles.

Ja, und jetzt bin ich bei dem, was ich als Psychotaktiken bezeichne. Es sind gleichzeitig Immunisierungsstrategien. Da ist jemand, der seine (oder ihre) Gefühle sehr wichtig nimmt, und herausstreicht, wie diese verletzt worden sind. Da wir ja alle dazu erzogen worden sind, nette Menschen zu sein, haben wir dann ein schlechtes Gewissen – wir möchten ja niemanden verletzen und niemandem weh tun. Man fühlt sich schuldig und entschuldigt sich, anstatt erst einmal zu analysieren, ob diese Vorwürfe berechtigt sind. Oft funktioniert es. Es funktioniert noch besser, wenn es gelingt, eine Gruppe auf die eigene Seite zu bekommen, die auch nicht analysiert, welche Aussage jetzt richtig oder falsch ist, oder ob ein Vorwurf berechtigt ist, sondern die einfach nur sieht: „da ist reagiert jemand verletzt, also muss das eine Ursache haben, also hat derjenige oder diejenige, deren Worte zu diesen verletzen Gefühlen geführt haben, etwas falsch gemacht.“ Das ist aber nicht notwendigerweise so. Ein Extrembeispiel: In einer Schreibgruppe habe ich einer älteren Dame nicht abgenommen, dass ihr Großvater, der SS-Mann und Leiter eines Arbeitslagers für Zwangsarbeiterinnen war, ein guter Mensch gewesen sein soll. Sie war natürlich sehr verletzt, weil ich ihr Bild von ihrem Großvater angegriffen habe. Deswegen war ich aber nicht die Böse in diesem Konflikt. (Ich bin trotzdem von der Leiterin der Gruppe, die keine Konflikte wollte, rausgeworfen worden.) Und so muss eben immer sorgfältig analysiert werden.

Der Verweis auf das Unterbewusste (die Kinderlieder, die einen geprägt haben…) ist auch eine solche Psychotaktik. Wie soll man darauf reagieren und sich gegen Vorwürfe verteidigen? Das Unterbewusste zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass man es nicht kennt. Für den Angreifer ist es die perfekte Strategie, sich gegen Kritik zu immunisieren. Das gleiche gilt auch für die Weigerung, die Erklärbärin zu spielen und genau zu benennen, was jemand eigentlich falsch gemacht hat. „Denk mal selbst darüber nach, warum ich jetzt sauer bin“ gehört für mich in die Mottenkiste der Schwarzen Pädagogik, aber auch in die Schublade „Machtkampf unter dreizehnjährigen Mädchen“.

Ja, was hilft noch… andere Theorien finden. Für mich sind das im Moment der marxistische Feminismus, aber auch universalistische Theorien, die ich durch die Beschäftigung mit Antisemitismuskritik kennengelernt habe. Ein Punkt, der mir gerade jetzt noch einfällt, ist der, dass es tatsächlich leichter ist, den unbewussten Rassismus von Verbündeten anzuprangern als tatsächlich gegen rassistische Regelungen in der Gesellschaft (vor allem der Asylpolitik, aber auch der Bildungspolitik usw.) vorzugehen.

Es ist immer leichter, eine Theorie zu kritisieren, wenn man alternative Theorien zur Verfügung hat. Es ist aber zumindest bei den Schwundformen von Critical Whiteness möglich, sie auch intern zu kritisieren, wie es Vasili Tsianos im von dir verlinkten Artikel tut:

Was wir gegenwärtig in den Diskussionen zum Beispiel anlässlich des No Border Camps in Köln erleben, ist vielleicht eine Spätfolge einer doppelten Struktur, die den Antirassismus des Whiteness-Ansatzes auszeichnet: Einerseits geht es um eine Ausweitung, die alle Weißen zu Privilegierten macht; andererseits wird ein eher entpersonalisierender Fokus auf Institutionen gerichtet. In diesem Konzept sind die »weißen« Institutionen und Diskurse so mächtig, dass sie die Individuen, die darin als »Weiße« konstruiert werden, vollständig entmündigen. Gleich, wie diese sich verhalten, sie sind »Profiteure«. Anstatt eine Rassismustheorie in Angriff zu nehmen, deren Fluchtpunkt die ideologische und praktische Abschaffung von Kategorien wie »Race« ist, dreht sich das Whiteness-Konzept von Anfang an im Kreis. (2)

Ich finde, hier zeigt sich der Kreislauf: der Fokus geht weg von den Personen auf die Strukturen und Institutionen, was ja an und für sich auch richtig ist – dann wird er aber wieder gegen individuelle Personen gerichtet, die nun aber nicht mehr als Personen, sondern nur noch als Produkt der Struktur gesehen werden.

(Ich überlege, ob man da nicht wieder nach den zugrundeliegenden Theorien suchen muss, etwa Poststrukturalimus, wonach die Diskurse die Subjekte vollständig prägen – ich kenne mich damit aber nicht aus, ich habe das gerade erst von Judith Butler gelernt.)

Die inneren Widersprüche dieser Positionen führen aber dazu, dass eine Gegenstrategie darin besteht, dass man sich einfach gar nichts tut, sondern sich zurücklehnt und wartet, bis sich die Anti-Oppression-Leute in ihre eigenen Widersprüche verstricken. Bei den Dreamwidth-Diskussionen war das dann der Fall, als eine weiße Aktivistin einer Woman of Colour erklärte, dass ein bestimmtes Verhalten unter Freunden (sich mit der jeweils anderen Rasse und den entsprechenden Klischees necken) kein harmloses friendly banter, sondern Rassismus sei. Die andere sagte dann, sie sei selbst eine Woman of Colour, sich mache das ständig mit ihren Freunden, und sie lasse sich nicht von einer Weißen erklären, dass dies falsch sei. Und vielleicht hast du ja auch von den Geschichten auf dem No Border Camp gehört oder gelesen. Ich habe nur davon gelesen, aber da schien es nach dem selben Muster abzugehen: Die akademische Gruppe macht sich spätestens dann lächerlich, wenn sie Menschen, die unter schrecklichen Umständen aus Afrika nach Europa geflohen sind und hier unter unwürdigen Bedingungen leben, wegen ihrer Sprache kritisiert („Geflüchteter“ statt „Flüchtling“.) Da hört es dann nämlich auf mit der Subjektivität der Betroffenen – nur die eigene Theorie repräsentiert dann die „richtige“ Subjektivität. Also vielleicht als Weiße sich einfach zurückhalten und warten, bis PoC (oder in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund (schrecklicher Ausdruck, aber ich weiß gerade keinen besseren)) wie Vasili Tsianos sie zurechtweisen. (Jetzt doch noch etwas Eigenwerbung: Ich habe hier selbst darüber geschrieben.)

3. Der dritte Kommentar war die Antwort auf einen Kommentar zu diesem Kommentar:

Vielen Dank für deine Komplimente! Wesentliche Gedanken sind allerdings vor allem aus einer Beobachtung der Diskussionen im Fandom entsprungen (ich habe auch teilgenommen.) Eigentlich ist es ganz einfach, den Antiprivilegierungsleuten Widerstand zu leisten: Man verwirft deren Grundannahme, dass die Person, die einer benachteiligten Gruppe angehört, immer Recht hat.

Ich habe jetzt die Stelle im Text von Tove Soiland gefunden, in der sie von der Inkompatibilität der beiden Ansätze spricht:

Ich möchte an dieser Stelle die Inkompatibilität beider Theorietraditionen betonen. Man wird nämlich nicht darum herum kommen, in der Frage Stellung zu beziehen, ob man der Artikulation oder der Dekonstruktion den Vorzug geben will, oder noch genauer, ob man die Persistenz von Ungleichheit in der mangelnden Artikulation eines Verhältnisses oder im Ausbleiben der Dekonstruktion von Kategorien verortet. Tatsache ist, dass letzteres ersteres verunmöglicht – wenn auch aufgrund eines grundlegenden Missverständnisses dessen, was Artikulation ist.

In der einen Tradition geht es darum, Identitäten und Kategorien zu dekonstruieren, etwa die Kategorien männlich und weiblich. In der anderen Tradition geht es um Artikulation, und zwar um Artikulation gleicher Betroffenheitslagen. Das heißt nicht, dass die Gruppe der Frauen als einheitliches Subjekt oder als homogene Gruppe bezeichnet würden oder dass ihnen essentialistische Eigenschaften zugeschrieben würden. Als Beispiel nennt sie, dass Frauen für Hausarbeit verantwortlich sind – und das gilt sowohl für die Karrierefrau als auch für die Haushaltshilfe, deren ausländischer Berufsabschluss nicht anerkannt wird. Männer, die eine Putzfrau einstellen, werden nicht kritisiert. In meinem anderen Kommentar habe ich überlegt, ob nicht alle Frauen von Vergewaltigungsmythen betroffen sind: die “normschöne”, die gerne im Minirock herumläuft, und die nicht so normschöne, die sich das nicht traut, weil sie ihren Körper zu hässlich findet, um ihn zur Schau zu stellen. Sie sind auf unterschiedliche Weise betroffen, aber sie sind beide betroffen. (Ich folge @reempowerment auf Twitter, das ist eine Seite, die sich gegen Gewalt gegen Frauen wendet, und sie schreiben, dass alle Frauen betroffen sind, und dass es keinen Unterschied zwischen verschiedenen Schichten gibt.)

Wenn es nun nur noch um die Dekonstruktion der Kategorie Frauen geht, dann lassen sich diese gemeinsamen Betroffenheitslagen nicht mehr formulieren/artikulieren.

Die Ironie besteht nun darin, dass die Dekonstruktionsleute erst das Problem schaffen, das sie dann kritisieren. Es gehört eigentlich zu den typischen unfairen Diskussionstrategien, die ich im Internet erlebt habe: Den Gegner für etwas kritisieren, was er gar nicht gesagt hat, sondern was knapp daneben liegt. Irgendwann bin ich dahintergekommen und habe gelernt, dass ich, bevor ich mich gegenüber irgendeinem Vorwurf verteidige, erst noch einmal nachlese, was ich selbst eigentlich geschrieben habe.

Ja, in diesem Fall werden die älteren feministischen (oder antirassistischen etc.) Theorien dafür kritisiert, dass sie essentialistisch seien – aber in Wirklichkeit sind sie es nicht. Wenn eine sagt, dass alle Frauen von der Gefahr einer Vergewaltigung betroffen sind (auch die, die nicht vergewaltigt wurden, sind sich dieser Möglichkeit immer bewusst und beziehen sie in ihr Verhalten mit ein), dann sagt sie nicht, dass alle Frauen eine homogene Gruppe darstellen, oder dass sie alle gleich wären. Die älteren Theorien werden also für etwas kritisiert, was sie gar nicht gesagt haben.

(Die andere Ironie ist die, dass die Intersektionalitätsansätze zum Aufblühen von immer neuen Identitäten führen – besonders sichtbar wird dies an den sexuellen Identitäten. Im nächsten Schritt werden dann diese Identitäten als essentialistisch kritisiert.)

Und jetzt bist du dran: Wie nutzt du Popper, um den gegenwärtigen Mainstream-Feminismus zu kritisieren? Ich habe “die offene Gesellschaft und ihre Feinde” zuhause, wenn du mir ein Kapitel nennst, kann ich es nachlesen…

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12 Antworten zu Kommentare zum gegenwärtigen akademischen Mainstream-Feminismus

  1. Chomsky schreibt:

    @Susanna14

    Ich selbst finde das Konzept der Intersektionalität nicht so schlecht. M.E. ist es eine Erweiterung von anderen Modellen der Sozialstrukturanalyse. Haben früher Modelle der Sozialstrukturanalyse nur Klassen einbezogen, wurden dann eben mit der Zeit das Schichtmodell bevorzugt, weil schon ein bisschen differenzierter und später das Modell der sozialen Milieus, wo nun ganz klar nicht nur ökonomische Faktoren eine Rolle spielen (ökonomisches Kapital) sondern eben auch Bildung (kulturelles Kapital), Beziehungen (soziales Kapital) sowie Ehre, Prestige (symbolisches Kapital) und erweiter dann eben auch die Lebensführung (Mode, Freizeitbetätigung, Religion, politische Präferenzen etc.).

    Ein Modell der Sozialstrukturanalyse kann aufzeigen, wo wir quasi ähnliche Mentalitäten aufgrund einer spezifischen Lebenslage haben, also sogenannte einheitliche soziale Milieus. Und eine Sozialstrukturanalyse kann ja auch ein bisschen aufzeigen, wo die Konfliktmuster (Interessen, Privilegien, Konflikte, Benachteiligunge, Diskriminierungen etc.) in einer Gesellschaft sind.

    Das Problem bei der Intersektionalität ist m.E. vor allem dort zu sehen, wenn nur darauf geschaut, wird, wer hat welche Privilegien oder welche Identitätsbildungen bilden sich oder durch welche symbolische Praktiken werden gewisse Klassifikationen diskursiv produziert und reproduziert. Man also quasi hier stecken bleibt bei einer erweiterten Sozialstruturanalyse (wie ich eben nun mal das Konzept der Intersektionalität nennen würde).

    Selbstverständlich sind die gesellschaftliche Verhältnisse dann eben etwas Anderes, die zudem noch einer Analyse bedürfen: wie Kapitalismus, Fordismus, Taylorismus, Postfordismus, Toyotismus, Sozialismus, Monetarismus, Merkantilismus, Keynesianismus, Korporatismus, direkte Demokratie, repräsentative Demokratie, Postdemokratie etc.

    Also: Die Gefahr bei Konzepten wie Privilegien, Identitäten, Kategorien (Intersektionalität) ist, dass nur noch geschaut wird, wer mehr oder weniger privilegiert ist. Aber in einer Diktatur können, ausser dem Diktator, quasi alle gleich privilegiert oder weniger privilegiert sein. Auch im Taylorismus oder Bürokratismus etc. können quasi alle gleich privilegiert oder nicht privilegiert sein, aber das ändert dann nichts daran, dass ev. der Bürokratismus oder Taylorismus selbst menschenfeindlich sein kann; aber auch, dass eben ein ungezügelter Marktradikalismus oder Raubtierkapitalismus selbst die Mentalitäten der Menschen zu einer inhumanen Menschheit verändern kann etc.

  2. susanna14 schreibt:

    Schön, dich wieder hier zu sehen! 🙂

    Ich habe die Intersektionalitätsdebatten ja vor allem in ihrer trivialisierten Form im Fandom kennengelernt, wo man wahrscheinlich wirklich das unterste mögliche Niveau erreicht hatte.

    Wie gesagt, ich habe vor allem von Tove Soiland gelernt. Sozialstrukturanalyse ist bestimmt spannend, um die ganzen feinen Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen deutlich zu machen und zu zeigen, wer da gegen wen agiert, oder auch, wer da gegenüber wem im Vorteil ist. Aus wissenschaftlicher Sicht bestimmt interessant, aber: Das Ziel ist doch nicht nur WIssenschaft, sondern auch Veränderung, und dann ist die Frage, wie geht man mit diesen ganzen Unterschieden um? Tove Soiland nennt affirmative action als eine der Methoden, Antidiskriminierung zu betreiben, und sagt, dass dies regelmäßig zu Problemen in Form von einer Verlagerung der Ungleichheit führt.

    Daher sucht sie nach den Mechanismen, und als Marxistin sieht sie sie in der kapitalistischen Ausbeutung, durch die Herrschaft hergestellt wird. Und für sie sind eben diese Mechanismen interessanter als immer feinere Gruppeneinteilungen.

    (Ich wollte eigentlich über ihren Artikel in „les querelles“ schreiben, den du schon vor einer Weile vorgeschlagen hast, aber ich war heute abend damit beschäftigt, nach einem Fehler in den drei Artikeln zum Adorno-Preis für Judith Butler zu suchen, der verhindert hat, dass der RSS-Feed funktioniert. Also morgen.)

  3. Chomsky schreibt:

    Was hältst Du eigentlich von folgendem Text.

    „Critical Whiteness und das Ende der Sektstimmung“

    http://maedchenmannschaft.net/critical-whiteness-und-das-ende-der-sektstimmung/

    Wenn Du überhaupt etwas darauf sagen magst, was ja nicht sooo sicher ist! 🙂

  4. susanna14 schreibt:

    Ich glaube, sorin hat hier ganz intelligent geantwortet: http://shehadistan.wordpress.com/2012/10/18/critical-whiteness-und-das-ende-der-sektstimmung/comment-page-1/#comment-287

    Ich weiß noch nicht, ob ich selbst antworten möchte. Mir ist das ganze im Moment zu heiß, und ich möchte warten, bis es sich abgekühlt hat. Und vielleicht sollte ich selbst noch etwas mehr lesen (vor allem anderes lesen als Blogtexte) bevor ich noch mehr sage. Das heißt, ein paar Sachen, die ich sagen möchte, schweben mir noch im Kopf herum. Ich möchte aber etwas warten.

    • Chomsky schreibt:

      Nun, musst natürlich sagen, ob Du auf Deinem Blog über dieses Thema überhaupt diskutieren möchtest.
      Ich würde einfach mal Folgendes sagen:

      Das Problem fängt nur schon beim Begriff des Rassimus an: Es gibt die unterschiedlichsten Definitionen, was unter dem Begriff Rassismus verstanden werden kann oder soll.
      Und wenn es dann um die Operationalisierung geht (welche Handlungen und Strukturen) sollen unter diesen Begriff subsumiert werden, dann haben wir noch einmal die unterschiedlichsten Meinungen. Das soll aber auch heissen: Der gesamte Komplex „Rassismus“ (Begriff und welche Praktiken und Strukturen sollen unter diesen Begriff fallen) ist selbst auch ein Kampfobjekt. Wie gesagt wird, „Rasse“ sei ein Konstrukt, ist eben auch der Begriff Rassismus ein Konstrukt. Je nach Präferenzen und Interessen werden eben unterschiedliche Definitionen und Begriffe verwendet und unterschiedliche Praktiken und Strukturen darunter subsumiert. Das scheint mir, wenn man über dieses Thema diskutiert, schon noch sehr wesentlich zu sien.

      Ich gehe jetzt nur kurz auf einen Satz ein, der in dem Text bei „Mädchenmannschaft“ steht, dort heisst es:

      „Rönicke möchte natürlich keine Rassistin sein. Keiner möchte das. “… dass weiße Deutsche per se privilegiert seien”, – das löst einen Abwehrmechanismus aus. Warum?“

      Vielleicht täusche ich mich, aber ich denke nicht, dass das Wissen, dass weisse Menschen in Deutschland in gewissen Bereichen gegenüber Menschen anderer Hautfarbe privilegiert sind, bei Rönicke Abwehrmechanismen auslöst. Ich denke, Rönicke findet es nicht plausibel, dass eine Gruppe von Menschen, die privilegiert sind, automatisch als rassistisch diffamiert werden und dies m.E. aus sehr guten Gründen. Ich denke auch, dass der Begriff Abwehrmechanismus vollständig nichts zu suchen hat in einer politischen Debatte. Solche psychologisierende Begriffe, die meist ja ad personam gehen, werden m.E. selbst immer dann eingesetzt, wenn man seine Argumentation nicht rein durch Empirie und Logik unterfüttern kann oder will, sondern eben mittels einer ad personam-Diskussion.

      Ich denke, die Autorin hat auch Bourdieu nicht richtig verstanden: Bourdieu konnte sehr gut zwischen Handlung und Struktur unterscheiden und Bourdieu würde zwar auch sagen, dass eine Gesellschaft rassistische Strukturen hat, aber er hätte nie gesagt, dass diejenigen, die auch von rassistischen Strukturen profitieren (teilweise auch ungewollt, weil sie eben nicht in der Mehrheit sind und die Politik somit nicht so bestimmen können, wie sie es gerne hätten) nun quasi alle Rassisten sind oder rassitisch werde müssen oder automatisch rassistische Praktiken reproduzieren.

      • susanna14 schreibt:

        Ich glaube, mehr als du gesagt hast, muss man zu der ganzen Geschichte nicht sagen: Wenn jemand von rassistischen Strukturen profitiert, möglicherweise gegen seinen eigenen Willen, heißt das nicht, dass er ein Rassist ist. Das ist der Grundfehler in der gesamten Argumentation (auch schon in der von Noah Sow.) Das ist auch das, wogegen sich Vasili Tsianos und die Artikel aus Indymedia, die ich gefunden habe, wehren.

        Ich stimme dir auch zu, dass das Wort „Abwehrmechanismus“ in einer politischen Debatte nichts zu suchen hat. Wenn man der anderen Person einen Abwehrmechanismus unterstellt, immunisiert man sich gegen Kritik.

        Danke für deinen Hinweis, dass auch Bourdieu zwischen Handlung und Struktur unterschieden hat. (Ich glaube, man muss wieder psychologisierende Theorien benutzen, um zu begründen, dass Menschen, die in einer rassistischen Struktur leben, notwendigerweise selbst Rassisten sind. Eventuell auch trivialpsychologische Theorien, wie „Prägung“.)

        • Chomsky schreibt:

          Zur Immunisierungsstrategie: Leider hat sich die Autorin von Mädchenmannschaft diese Marotte der Immunisierungsstrategie, wie sie eben teilweise auch Bourdieu pflegte, selbst zu eigen gemacht. Im Bourdieu-Handbuch wird dann diesbezüglich und in analgoer Weise auch Kritik gegenüber Bourdieu geübt, indem es heisst:

          „Vor diesem Hintergrund ist die schärfste Kritik an Bourdieus Ansatz darin zu erblicken, dass er nicht falsifizierbar sei (Janning 1991, 74 f.). Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Bourdieu Immunisierungsstrategien gegen Kritik bewusst verfolgt hat. Erstens kann er jede Kritik als blossen Ausdruck eines sozialen Standpunkts entwerten, als Widerstand (z.B. Bourdieu 1997b, 802). Wer also Bourdieus Theorie der sozialen Standpunkte kritisiert, bestätigt sie dadurch – ähnlich wie jede Kritik an der Psychoanalyse als Verdrängung klassifiziert und als Bestätigung der Psychoanalyse bewertet werden kann.“ (Fröhlich/Rehbein [Hrsg.] 2009: Bourdieu Handbuch. Leben – Werk – Wirkung)

          Soll heissen: Wer wie Rönicke das Buch von Sow kritisiert, der kann quasi von seinem sozialen Standpunkt/seiner Position (als weisse Person) nicht anders handeln und seine Kritik ist zwangsläufig ein Abwehrmechanismus. Ich würde dies dann die „Armseligkeit“ der Standpunkttheorie nennen oder eben die Nicht-Falsifizierbarkeit oder Immunisierungsstrategie der Standpunkttheorie (oder meintwegen Positionierungstheorie).

          • susanna14 schreibt:

            Ja, diese Argumentation ist mir auch aufgefallen. das, was Katrin sagt, wird nicht als Ausdruck von Denken und Reflexion wahrgenommen, sondern als Ausdruck ihrer sozialen Position. Das kommt davon, wenn jemand wie Bourdieu als reine Autorität behandelt wird, nicht als jemand, den man kritisch reflektieren muss.

  5. Chomsky schreibt:

    Wenn ich Theorien lese oder einflussreiche Theorien oder TheoretikerInnen, dann ist es immer gut, wenn man sich immer auch intensiv mit der Kritik, der Gegenkritik und der Gegengegenkritik beschäftigt. 🙂 Nein, aber so findet man doch recht schnell die Stärken und die Schwächen eines Ansatzes heraus. Und die Diskursstrategie die Abwehr, Verdrängung oder Abwehrmechanismen ins Feld führt, ist nun wirklich langsam dafür bekannt, dass dies als Immunisierungsstrategie verwendet wird; Immunisierungsstrategie deshalb, weil sich solche Aussagen nicht falsifizieren lassen oder die Kritik selbst als Bestätigung der eigenen Theorie angesehen wird: berühmtes Beispiel die Psychoanalyse.

  6. Chomsky schreibt:

    @Susanna14

    Ich musste auch nachschauen, wie das Buch von Bourdieu auf französisch heisst, weil ich lese quasi alles auf Deutsch. Mein Französisch ist einfach nun wirklich zu rudimentär, als dass ich wirklich alles präzise verstehen würde.

    Das Buch heisst wie folgt:

    „Ce que parler veut dire : L’économie des échanges linguistiques“

  7. susanna14 schreibt:

    Danke! Meistens steht der Originaltitel ja vorne drin.

    Ja, das ist das Buch mit der Geschichte. Und zwar habe ich meinem Vater erzählt, was ich da alles so lerne, und auch von Bourdieu, auch wenn ich ihn noch nicht selbst gelesen habe, und ich dachte mir schon, das wird ihn auch interessieren. Ich empfehle ihm also „die feinen Unterschiede“, und mein kleiner Bruder kann ihm das Buch sogar leihen, und was tut mein Vater? Er stellt fest, dass das Buch zu dick für ihn ist, und bestellt stattdessen „Ce que parler veut dire…“ (Und ich muss ihn dreimal fragen, wie der Titel nun genau ist, weil weder sein noch mein Französisch besonders gut ist.) Und zwar auf Französisch, was weder mein Bruder noch ich tun würden. In seiner Jugend hat er Sartre auf Französisch gelesen. (Und als mein Bruder Sartre zu lesen anfing sagte er nur, statt sich zu freuen: „Er liest Sartre – aber auf Deutsch.“)

    Also, mein Vater hat sich wie ein Vierzehnjähriger benommen, der zwar froh ist über Tipps für wichtige Bücher, aber sich eben doch seine Eigenständigkeit beweisen muss.

    • Chomsky schreibt:

      Ist noch witzig, wenn Du gerade von Deinem Vater sprichst. Mein Vater ist irgendwie ein ganz anderer Typ als ich: Kommt eher so aus der naturwissenschaftlichen Richtung (Bauingenieur und Geometer) und liest quasi überhaupt keine Bücher. Einmal habe ich ihm etwas von Gilles Deleuze vorgelesen und dann meinte er nur: „Der Typ habe wohl ein bisschen zuviel LSD gefressen!“ 🙂

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