Ich habe mir natürlich auch den zweiten Teil des Hobbitfilms, „Smaugs Einöde“ angesehen, und ich habe mir einige Gedanken dazu gemacht. Ich habe überlegt, nach einem anderen Ort zu suchen, wo ich diesen Text veröffentlichen kann, habe aber nach einem freundlichen Kommentar zum gestrigen Text beschlossen, dass hier der richtige Ort ist.
Ich habe einige allgemeine Bemerkungen zu Peter Jacksons Verfilmung im Sinne einer Kritik und einige Gedanken zu den wichtigsten Veränderungen des Films gegenüber der Buchvorlage geschrieben. Da ich aber niemanden spammen oder spoilern möchte, findet sich alles hinter dem Cut…
Erst einmal einige allgemeine Kritik: Die Verfilmung hat mich nicht enttäuscht, da ich mittlerweile weiß, was Peter Jackson kann und was er nicht kann. Zu loben sind opulente Bilder, liebevoll gestaltete Details, witzige Actionszenen, nicht so gut sind mangelnde Subtilität, Action, die man nicht ernst nehmen kann, und vor allem, dass Peter Jackson nicht einmal den Versuch macht, Zeitdauer darzustellen. Eine meiner Lieblingsstellen im Buch ist die Wanderung durch den Düsterwald, bei der den Zwergen die Nahrungsmittel ausgehen, so dass sie verzweifeln und Dummheiten machen und sich am Ende sogar freiwillig gefangennehmen lassen, in der Hoffnung, dass die Elben ihnen etwas zu essen geben werden. Peter Jackson kann mit dieser Stelle anscheinend überhaupt nichts anfangen.
Vermisst habe ich zwei der Stellen, die im Buch zu meinen Lieblingsstellen gehören: Thorins Einzug in Seestadt mit Kili, Fili und Bilbo, und die Stelle, in der er dafür sorgt, dass Bofur und Bombur auf die „Türschwelle“ gezogen werden, obgleich der Drache jeden Augenblick angreifen kann. Dafür enthält der Film einige andere interessante Szenen.
Auf dem Dachboden mit den alten Erzählmustern: Einige Bemerkungen zu den wichtigsten Veränderungen des Films gegenüber der Buchvorlage
Peter Jackson und sein Team haben die Handlung des Hobbitfilms an mehreren Stellen gegenüber der Romanvorlage verändert. Mehrere dieser Veränderungen stehen unter dem Verdacht, dass sie nicht künstlerischen Erwägungen, sondern der Rücksicht auf die angeblichen Erwartungen des sogenannten Mainstreampublikums zu verdanken sind. (Meistens äußern Menschen, denen diese Veränderungen nicht gefallen und die sich also nicht zu Mainstreampublikum zählen, einen solchen Verdacht.)
Meine eigene Kritik an diesen Veränderungen besteht nicht darin, dass sie angeblich fürs Mainstreampublikum sind (von dem ich mich nicht abgrenze: die „Verjüngung“ Thorins finde ich sehr angenehm), sondern darin, dass sie gedankenlos geschehen: Als wären die Filmemacher Jugendliche im Secondhandladen, die sich nach Kleidungsstücken umsehen, ohne sich zu fragen, ob sie ein bestmmtes Stück brauchen, ob es zum Rest der Garderobe passt oder zu welcher Gelegenheit sie es anziehen können, schaut sich das Filmteam auf dem Dachboden um, wo die gesammelten Motive und „Tropes“ (1) der letzten Jahrhunderte hängen, und nimmt, was ihnen cool und wirkungsvoll erscheint, ohne zu bedenken, wie das, was sie auswählen, zum Rest der Geschichte passt und wie die Bedeutung der Geschichte verändert wird, und auch ohne zu durchdenken, welche Symbolik möglicherweise in dem steckt, was sie da ausgesucht haben.
1 Weiße Sterne – Roter Mond: Einige Gedanken zu den Szenen zwischen Tauriel und Kili (2)
Die Szenen zwischen Tauriel und Kili gehören zu den umstrittensten hinzugefügten Szenen des zweiten Hobbitfilms. Manche finden sie gut, manche finden sie völlig überflüssig. Manche, darunter ich selbst, differenzieren in ihrem Urteil zwischen einzelnen Szenen. Mein abschließendes Urteil werde ich erst fällen, wenn ich auch den dritten Teil gesehen habe und weiß, für welchen der beiden Männer sich Tauriel entscheidet und ob sie stirbt und wie sie stirbt und was bis zum Ende des Films sonst noch passiert.
1.1 Dem Frauenmangel abhelfen
Es ist ziemlich offensichtlich, dass Tauriel eingeführt wurde, weil in der Romanvorlage keine Frauen vorkommen. Bei einem Kinderbuch mag das okay sein, für einen Kinofilm, der das jugendliche und erwachsene Mainstreampublikum in die Kinos locken soll, (angeblich) nicht. Nicht nur die weiblichen, sondern auch die männlichen Zuschauer möchten etwas fürs Auge haben. (Für das weibliche heterosexuelle Publikum sind schon einige Zwerge aufgehübscht worden. Darüber, wie Lesben auf Tauriel und Schwule auf Thorin, Kili und Fili reagieren, werde ich hier keine Spekulationen anstellen. Wahrscheinlich reagieren sie genauso unterschiedlich wie heterosexuelle Menschen.)
Also wurde eine weibliche Figur erfunden. Sie sollte hübsch sein, um die männlichen Zuschauer zu begeistern, und sie sollte eine Kämpferin sein, weil die jungen Frauen heutzutage (angeblich) starke Frauen in ihren Filmen sehen wollen. Daraus ergab sich, dass es eine Elbin sein musste. Außerdem musste eine Liebesgeschichte eingebaut werden (wozu eine Frauenfigur einführen, wenn sie sich nicht verliebt), und zwar am besten mit einer der vorhandenen Figuren, um eine Verknüpfung zum Rest der Geschichte herzustellen. Dazu bot sich Kili an, der die meisten Fans unter den Zuschauerinnen gewonnen hat. (Thorin, der wahrscheinlich ähnlich viele Fans hat, würde sich nie durch eine Elbin von seinem Vorhaben ablenken lassen.) Eine Verbindung zwischen einer Elbin und einem Zwerg bot auch eine Möglichkeit, ein weiteres klassisches Motiv einzubauen: „Young Love versus Old Hate“ (3) . Eine Dreiecksgeschichte mit Legolas, der aus den Herr-der-Ringe-Filmen bekannt ist, bot sich ebenfalls an – Liebesgeschichten sind interessanter, wenn es einen Konflikt gibt. Und da man sich schon auf dem Dachboden mit den alten, klassischen Motiven befindet, kann man sich noch weiter umsehen und schauen, ob dort noch etwas ist, was man einbauen kann. Aber leider finden sich dort neben einigen schönen alten Stücken (eben dem Motiv der Liebe zwischen Angehörigen verfeindeter Völker), die nur noch etwas aufgepeppt und der eigenen Geschichte angepasst werden müssen, auch ein paar Teile, die längst zur Altkleidersammlung gegeben werden hätten müssen. Eines davon ist das Klischee von der Heilerin, insbesondere wenn es mit der traditionellen Aufteilung von Frauen in Huren und Heilige verknüpft ist. (Die Heilerin ist meistens eine Heilige.)
1.2 Die Heilerin
Bei „TV Tropes“ findet sich der Florence Nightingale Effect“ (4) beschrieben, die Liebe zwischen Krankenschwester und Patient. TV Tropes weist darauf hin, dass eine solche Liebe im realen Leben sehr selten und außerdem mit guten Gründen verboten ist. Auch die Namensgeberin, Florence Nightingale, achtete darauf, dass weder sie selbst noch die Krankenschwestern und Schwesternhelferinnen, die für sie arbeiteten, Liebesbeziehungen mit den Soldaten begannen, die von ihnen gepflegt wurden.
Solch ein Verbot verhindert natürlich nicht, dass Menschen Phantasien entwickeln. Bei TV Tropes finden sich vor allem Beispiele, in denen aus der Patient-Krankenschwester-Beziehung eine echte Liebesbeziehung wird. Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit: Die Patient-Krankenschwester-Beziehung ist die Liebesbeziehung. Die Berührungen, die im Rahmen der Pflege geschehen, und vielleicht dazu noch ein paar Berührungen, die nicht unbedingt notwendig sind (Hand halten, Hand auf Stirn legen), sind alles, wozu es je kommt. Sie reichen aber aus, denn eine sexuelle Beziehung im eigentlichen Sinn ist nicht geplant: Die Krankenschwester soll rein und unberührbar bleiben und als Heilige verehrt werden. Die einzigen Berührungen, die erlaubt sind, sind diejenigen, die im Rahmen der Pflege notwendig sind, denn diese sind per definitionem unerotisch, gleichgültig wie intim sie tatsächlich sind (5) .
Berührungen, die trotz der Unberührbarkeit der Frau möglich sind, Berührungen, die gleichzeitig erotisch und nicht erotisch sind, und die herbeigesehnt und gleichzeitig nicht herbeigesehnt werden: eine Situation voller Widersprüche, die beide Beteiligte sehr unglücklich machen kann und die entweder überwunden werden oder mit dem Tod eines oder beider der Beteiligten beendet werden muss.
In seinem Buch „Männerphantasien“ (6) analysiert Klaus Theweleit Autobiographien und Romane, die in der bürgerkriegsartigen Situation nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland spielen und die aus der Perspektive der Mitglieder der Freikorps geschrieben sind, welche die Republik, aber noch mehr den Kommunismus bekämpften. Im ersten Band wird vor allem das Verhältnis dieser „soldatischen Männer“ zu Frauen und Sexualität untersucht, und dabei werden die rote und die weiße Krankenschwester einander gegenübergestellt. Die rote Krankenschwester stammt aus den niederen Schichten, und sie ist nicht wirklich eine Krankenschwester, sondern pflegt ihre Krieger auch oder vor allem dann, wenn diese gesund sind. Die weiße Krankenschwester ist oft eine Adlige, sie ist schön und unberührbar und steht hoch über dem Protagonisten. In aller Regel ist sie jung verwitwet, oft erst nach einer Woche Ehe, aber sie hat ihrem Mann ewige Treue bis über den Tod hinaus geschworen.
Die Aufteilung entspricht der Aufteilung von Frauen in Huren und Heilige, mit dem Unterschied, dass die „Huren“ nicht einmal sexuell ausgebeutet werden, da sie zum Feind gehören und nur mit den Männern der eigenen Gruppe schlafen, nicht mit den Soldaten der Freikorps. Die Soldaten der Freikorps ermorden die Frauen der Gegner, wenn sie sie treffen. (7)
In der Heilungsszene im Film heilt Tauriel Kili durch Zauberkräfte, und dabei leuchtet und singt sie. Mit dieser Entscheidung haben die Filmemacher sie hoch über Kili erhoben: Sie ist eine magische Figur, er ist sehr irdisch. Sie wird zur Figur der Heiligen, die im Prinzip unerreichbar ist. (Möglicherweise leuchtet sie nicht wirklich, sondern nur Kili sieht sie leuchten: das würde bedeuten, dass sie in seinen Augen hoch über ihm steht. Allerdings unterläuft er dieses Muster.)
Menschen, die die LotR-Filme besser kennen als ich, weisen darauf hin, dass Peter Jackson eine Szene mit Arwen zitiert habe, in der diese ebenfalls leuchtet. Auch die Szene mit Arwen ist von Peter Jackson und seinem Team hinzugefügt: Im Buch ist Heilen Männersache: Gandalf, Elrond und vor allem Aragorn retten Menschen und Hobbits, die von den Ringgeistern verwundet wurden, und sie leuchten nicht. Glorfindel leuchtet, aber dies ist Frodos veränderter Wahrnehmung zuzuschreiben: Elben, die in Eldamar gelebt haben, erscheinen ihm weiß leuchtend. Da Arwen im Film Glorfindel ersetzt, mag es in Ordnung sein, dass sie leuchtet.
Mir fällt kein Argument ein, dass Tauriel leuchten müsste. Sie ist keine Hochelbin, die einige Zeit in Eldamar verbracht hat, und Kilis Wahrnehmung ist nicht verändert wie die Frodos. Weder trägt er den Ring, noch ist er so schwer verletzt, wie Frodo war. Er beteiligt sich sogar noch, so gut es geht, am Kampf, und er zeigt keine Anzeichen von Depression oder Verzweiflung. Dass Tauriel leuchtet, kann also nur bedeuten, dass sie als Elbin automatisch über Menschen und Zwergen steht, obgleich sie eine gewöhnliche Waldelbin ist. Auch Kili selbst scheint sie so wahrzunehmen.
Allerdings hält diese Wahrnehmung nicht lange an: Als Kili schließlich gerettet ist, spricht er sie an. Er vermutet, dass sie nicht Tauriel sein könne, weil Tauriel im Sternenlicht wandere, dann nimmt er ihre Hand und fragt, ob sie meine, dass Tauriel ihn hätte lieben können. Es ist dabei nicht klar, ob er sie wirklich nicht erkennt, und mittlerweile neige ich zu der Annahme, dass Kili weiß, dass die Frau neben ihm Tauriel ist. Warum sollte er die Hand einer fremden Frau oder die Hand einer Erscheinung nehmen und sie fragen, ob Tauriel ihn lieben könnte? So zu tun, als sei er unsicher, ob sie es wirklich ist, erlaubt ihm, sie zu berühren und sie zu fragen, ob sie ihn liebt. Er gibt vor, sie als hoch über sich stehend anzusehen, so dass sie für ihn unerreichbar sei („sie wandelt im Sternenlicht“), aber tatsächlich nutzt er die Gelegenheit, sie zu berühren und zu sagen, was er fühlt und was er sich erhofft, und seinerseits sie nach ihren Gefühlen zu fragen.
1.3 Rot und Weiß
Die meisten, die ich gefragt oder deren Kommentare ich gelesen habe, vermuten, dass Kilis Liebe unerwidert bleibt und dass Tauriel sich für Legolas entscheiden wird. Möglicherweise führt gerade die Heilszene zu dieser Vermutung: Eine Frau, die engelsgleich leuchtet, geht nicht mit einem ins Bett. Und womöglich schrecken selbst viele weibliche Fans von Kili vor dem Gedanken zurück, dass sich eine edle Elbin wie Tauriel mit einem Zwerg verbinden soll, der einen Kopf kleiner ist als sie und dem man ansieht, dass er lange unterwegs war (auch wenn er hübscher ist als die meisten seiner Gefährten.)
Mit Ausnahme der Heilszene (in der er, wie oben ausgeführt, nur so tut) scheint Kili selbst Tauriel dagegen nicht als hoch über sich stehend anzusehen. Schon in den Kerkerszenen, in denen er sich mit ihr unterhält, scheint er keine Zweifel zu haben, dass er, ein Zwerg, für eine Elbin attraktiv sein könnte. Es gibt zwei davon: In der ersten fordert er sie auf, ihn zu durchsuchen, weil er alles mögliche in der Hose haben könne. Er nimmt Augenkontakt auf, bevor er sie anspricht, so seine Frage nicht geradewegs als sexuelle Belästigung eingeordnet werden muss, aber es bleibt eine primitive Anmache, die Tauriel entsprechend mit einer Beleidigung beantwortet. Eine hoch über sich stehende Frau würde er nicht auf solch direkte Weise anbaggern. (Im englischen Original sagt er fast das gleiche wie auf deutsch, „I could have anything down my trousers“. Ich kann nicht beurteilen, ob das auf Englisch ebenfalls eine primitive Anmache darstellen würde.)
Die zweite Szene lässt sich als ernst gemeinter Annäherungsversuch verstehen. Sie verlässt ein Fest, das im oberen Stockwerk im Gange ist, um nach ihren Gefangenen zu sehen. Ob sie das Fest freiwillig verlässt oder um ihre Pflicht zu tun, ist unklar: Falls sie ihre Pflicht tut, vernachlässigt sie sie, indem sie mit Kili redet, statt auch die anderen Gefangenen zu kontrollieren. Falls sie es freiwillig verlässt, wirft dies die Frage auf, wie langweilig Elbenfeste sind. Kili spielt gerade mit einem Stein, den seine Mutter ihm gegeben hat. Als sie nach dem Stein fragt, foppt er sie zunächst, indem er behauptet, jeder, der die Inschrift lese, sei verflucht, und dann erklärt, dass das doch nicht stimme. Er erzählt ihr, dass ihm der Stein von seiner Mutter gegeben wurde, die sich um ihn sorgt. Er lässt den Stein durch die Gitterstäbe der Zelle nach draußen rollen, und nachdem sie ihn aufgehoben hat, sprechen sie über das Fest im oberen Stockwerk. Sie erzählt ihm vom Sternenlicht, das den Elben heilig ist, und er erzählt ihr von einem Feuermond, den er einmal gesehen hat.
Durch ihr Gespräch zieht sich ein Muster von Weiß und Rot: Die Erinnerung an das weiße Licht der Sterne, das kalt und weit entfernt, aber auch kostbar und rein ist, gegen das rote, goldene Licht des Feuermondes und die Erinnerung an die eigene Mutter, die sich sorgt. Kili hat das letzte Wort in diesem Austausch.
Weiß steht für Reinheit. Im Herrn der Ringe werden zwei Frauen mit dieser Farbe in Verbindung gebracht, Galadriel und Eowyn. Aber während es für Galadriel anzeigt, dass sie tatsächlich über den meisten anderen Bewohnern Mittelerde steht – die letzte Noldor Mittelerdes, die noch in Aman geboren wurde – ist die Verbindung mit der Farbe Weiß in Eowyns Fall ein eher zweifelhaftes Kompliment. Aragorn hält sie für kalt und hart (8) :
„Very fair was her face, and her long hair was like a river of gold. Slender and tall she was in her white robe girt with silver; but strong she seemed and stern as steel, a daughter of kings. Thus Aragorn for the first time in the full light of day beheld Eowyn, Lady of Rohan, and thought her fair, fair and cold, like a morning of pale spring that is not yet come to womanhood.“
„When I first saw looked on her and perceived her unhappiness, it seemed to me that I saw a white flower standing straight and proud, shapely as a lily, and yet knew that it was hard, as if wrought by elf-wrights out of steel. Or was it, maybe, a frost that had turned its sap to ice, and so it stood, bitter-sweet. Still fair to see, but stricken, soon to fall and die.“
Faramir, der Eowyn vorbehaltlos schön findet und sich in sie verliebt, sieht trotz seiner Verliebtheit ihr Unglück, und das erste Geschenk, das er ihr macht, ist ein Mantel, der nicht weiß, sondern dunkelblau ist und der einmal seiner Mutter gehört hat. (Außerdem vergleicht er sie nicht ständig mit Gegenständen.)
Weiß ist keine positiv besetzte Farbe, dazu ist sie zu kalt. Kili bietet Wärme, die nicht nur durch die Farben Rot symbolisiert wird, sondern auch dadurch, dass er von seiner Mutter erzählt. Wir wissen: Er hat nicht nur eine Mutter, sondern auch einen Bruder und einen Onkel, und er wird von beiden geliebt. Von Tauriels Familie erfahren wir nichts, wir wissen nur, dass Legolas‘ Vater sie in ihrer Karriere gefördert hat. Zur Zeit ist sie dabei, an die gläserne Decke zu stoßen: So weit, dass er sie als Braut seines Sohnes akzeptieren würde, geht er nicht. Legolas scheint bisher noch nicht den Mut gehabt zu haben, seine Gefühle für sie zu zeigen – nur durch seine Eifersucht werden sie deutlich. Kili bietet ihr Wärme in einer Situation, in der sie einsam ist und nur wegen ihrer Kampfstärke wertgeschätzt wird.
1.4 Wie geht es weiter? Und was bedeutet die Liebesgeschichte für den Rest der Handlung?
Ich hoffe, dass Tauriel Kilis Frage, ob sie ihn lieben könne, mit ja beantwortet, sei es durch Wort oder Tat: seine Hand fester halten, seine Hand an ihre Brust drücken, oder ihn gleich küssen. Es wäre eine Absage an das Ideal der weißen, reinen, unberührbaren Frau; es würde bedeuten, dass sie irdischer und menschlicher wird. (9) Es würde bedeuten, dass sie nicht länger einem Königssohn hinterherschmachtet, der für sie tatsächlich unerreichbar ist.
Kili könnte nun beschließen, ebenfalls um der Liebe willen seine Leute zu verlassen, und sich gemeinsam mit Tauriel absetzen. Sie könnten sich eine Wohnung in Seestadt mieten, sie müssten sich Jobs suchen, sie würden sich den Schwierigkeiten stellen, die eine interkulturelle Beziehung mit sich bringt, einschließlich der komischen Blicke der Bewohner von Seestadt. Die Faszination würde schwinden: Tauriel würde Kili anschreien, weil er zu viel trinkt und mit den Menschenmädchen flirtet, er würde sie anschreien, weil sie zu verkrampft ist und die Dinge doch mal lockerer sehen soll. Manchmal würden sie bereuen, dass sie füreinander ihre Heimat und ihre Leute verlassen haben, aber dann würden sie nachdenken und merken, dass es ihnen besser geht als vorher und sich wieder zusammenraufen. (Fanfiction-Plotbunnies in liebevolle Hände abzugeben…)
Aber wir wissen, wie die Geschichte weitergehen wird. Wir wissen, dass der Drache im Anflug auf die Stadt ist und sie zerstören wird. Wir wissen, dass ein Elbenheer unterwegs ist, um zu sehen, was mit den entflohenen Gefangenen geschehen ist, was beide in Loyalitätskonflikte bringen wird. Wir wissen, dass Kili am Ende stirbt. (Ich kann mir nicht vorstellen, dass Peter Jackson wagen wird, an diesem Punkt von der Buchvorlage abzuweichen.)
Der Tod von Kili und Fili wird im Buch in einem einzigen eindrücklichen Satz berichtet. Sie waren bei Thorin, als dieser in einem verzweifelten Ausfall versucht, das Schlachtglück zu wenden, und seine Neffen sterben beim Versuch, ihn mit ihren Leibern und Schildern zu schützen. Ihr Tod folgt, wie der gesamte Angriff, einem sehr archaischen Muster: Ein „Berserkerangriff“ bei dem die Krieger in einem speziellen Trancezustand kämpfen, ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten. Sie sterben für ihren Anführer, was ebenfalls ein archaisches Muster ist. Dem Anführer, den Kameraden und der militärischen Einheit, der man angehört, gilt die höchste Loyalität. (10) Diese ist wichtiger als andere menschliche Bindungen und vor allem wichtiger als eigenes moralisches Urteilen.
Im Buch gehört Kili zu den wenigen, die über Thorins Sturheit nicht glücklich sind, sondern sich danach sehnen, die Belagerung zu beenden und gemeinsam mit Menschen und Elben zu feiern. Eine Verbindung mit einer Elbin müsste diese Haltung verstärken und zu offenem Protest führen (und dadurch teilweise Bilbo die Schau stehlen.)
Allerdings stirbt Kili im Buch eben nicht während eines Kampfs gegen Menschen und Elben, der ihm zuwider sein sollte, sondern während eines Kampfes gegen Orks, die das Böse repräsentieren, so dass Berserkerangriff und Tod in der Schlacht als lobenswert dargestellt werden, insbesondere Thorins Tod, mit dem er für seine vorangegangene Sturheit Buße tut. Aber was bedeutet Kilis und Filis Tod, und was kann Kilis Tod innerhalb des Films bedeuten?
Für mich käme es vor allem darauf an, dass sein Tod kein erhebendes Gefühl zurücklässt, sondern ein Gefühl von Trauer und Entsetzen, das Gefühl, dass es nicht so hätte kommen müssen, nicht einmal in einer Geschichte, sondern dass er auch hätte überleben können, dass er selbst dann hätte leben können, wenn Tauriel vor ihm gestorben wäre. Es käme darauf an, dass der Tod nicht als Lösung für irgen detwas präsentiert wird, nicht einmal für Liebeskummer.
Aus diesem Grund hoffe ich, dass die Liebe zwischen Kili und Tauriel keine unmögliche Liebe bleibt, sondern etwas, was hätte sein können, wenn es keinen Krieg gegeben hätte. Ich würde mir wünschen, dass die Schwierigkeiten einer Liebe zwischen Elbin und Zwerg (inklusive Größenunterschied) als lösbare Probleme dargestellt worden wären, so dass der Tod nicht als einzig mögliche Lösung übrig bleibt, vor allem nicht als Lösung für das Problem einer Liebe zu einer unerreichbaren Frau. Ich hoffe, dass vor allem die Liebenden selbst die praktischen Schwierigkeiten als lösbar ansehen und die ihnen verbleibende Zeit so gut wie möglich nutzen (11) .
2 Zu den Actionszenen am Ende des Films: Zwerge gegen Smaug
Neben den Szenen um Tauriel ist die Actionsequenz am Ende des Films, als die Zwerge gegen Smaug kämpfen, eine der umstrittensten Änderungen des Films gegenüber der Buchvorlage. Auch hier haben sich die Filmemacher für das entschieden, was sie für cool hielten: Spektakuläre Action mit beeindruckender, wenn auch nicht topmoderner Technologie im Einsatz gegen ein Meisterstück der CGI-Technik. Das Problem ist nur, dass diese Szenen für die Handlung völlig überflüssig sind, schlimmer noch, dass sie überflüssig sein müssen, um die ursprüngliche Handlung nicht durcheinander zu bringen, und dass sie einige Entscheidungen der Figuren, aber auch einige Wertungen, die für Tolkiens Geschichten typisch sind, in Frage stellen.
2.1 Maschinen gegen Drachenfeuer
Ich selbst mag die Kampfszenen im Berg, obgleich ich weiß, dass sie hinzugefügt und für die Handlung überflüssig sind. Ich mag sie deswegen, weil sie bis jetzt die intelligentesten Versuche darstellen, Smaug zu besiegen: Intelligenter als die Zwergenarmee, die sich ihm im Prolog des ersten Teils entgegenstellt, intelligenter auch als die Pläne Gandalfs und Thorins, mit der vereinten Streitkraft der Sieben Königreiche der Zwerge den Drachen zu besiegen. (Dem Drachen ist es egal, ob er tausend oder zehntausend Zwerge im Drachenfeuer vernichtet. Sie wären ihm gleichermaßen hilflos ausgeliefert, so wie Infanterietruppen dem Feuer von Maschinengewehren oder Granaten hilflos ausgeliefert sind.)
Thorins ad hoc entwickelte Pläne, den Drachen zu besiegen, sind auch intelligenter als Bard Versuch, den Drachen mit einem Bogenschuss zu töten. Realistisch gesehen ist solch ein Versuch sehr riskant: Bard muss in Todesgefahr genau zielen und darf die verwundbare Stelle nicht verfehlen. Von ihm und seiner Nervenstärke im letzten Augenblick hängt alles ab. Ob es überhaupt möglich ist, ein solch kleines, bewegtes Ziel mit einem Schuss nach oben zu treffen, kann ich nicht beurteilen (12) . (Man sieht deutlich, wie Girions Pfeil auf seiner Flugbahn trudelt.) Immerhin weiß Bard im Film, dass es eine solche verwundbare Stelle gibt, und ist nicht darauf angewiesen, im letzten Augenblick durch die Drossel informiert zu werden.
(Im Buch siegt er also in erster Linie durch Glück, und weil Bilbo Vorarbeit geleistet hat.)
Thorins Versuche, den Drachen zu besiegen, scheitern. Der Drache lässt sich nicht durch Feuer vernichten, und er lässt sich nicht unter flüssigem Gold begraben. Man kann überlegen, ob es Gründe gibt, warum er scheitern musste: Möglicherweise war absehbar, dass ein Feuerwesen nicht durch Feuer besiegt werden kann, und möglicherweise war absehbar, dass Smaug das Gold, unter dem er begraben werden sollte, würde schmelzen können. Möglicherweise hätte er durch das schiere Gewicht des Golds erdrückt werden müssen (13) . Ich fürchte allerdings, dass diese Art von Plausibilitätsüberlegungen hier fehl am Platze ist – dann müsste man auch darüber nachdenken, ob ein Riesenzwerg aus Gold in so kurzer Zeit schmelzen kann. Der eigentliche Grund dafür, dass Thorins Pläne scheitern müssen, besteht nämlich darin, dass Thorin den Drachen nicht besiegen darf, weil Bard das tun muss.
Durch Thorins gescheiterte Pläne erhalten wir jedoch Hinweise darauf, wie es hätte gelingen können: Durchaus die Maschinerie des Bergwerks einsetzen, aber den Drachen nicht mit Feuer, sondern mit Wasser bekämpfen, oder ihn nicht nur unter Gold, sondern auch unter Gestein begraben. Wenn Thorin seine Pläne nicht unter dem Stress einer Kampfsituation entwickelt hätte, sondern sich mehr Zeit hätte nehmen können, hätte es gelingen können.
2.2 Technik und Maschinen: Eine Erfindung der Orks
Im Kapitel „Over Hill and Under Hill“ befindet sich eine Beschreibung der Kultur der Orks beziehungsweise der Goblins. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Orks ungern mit den Händen arbeiten und daher Maschinen erfunden haben, die ihnen diese Arbeit abnehmen. Außerdem lieben sie Explosionen und sind vermutlich verantwortlich für die Erfindung diverser neuerer Methoden, viele Menschen auf einmal vom Leben in den Tod zu befördern. Zu der Zeit, zu der die Geschichte spielt, waren sie allerdings noch nicht so weit fortgeschritten.
Der Drache wird im ersten Kapitel als ein Wesen charakterisiert, das die Schönheit eines Gegenstands nicht zu würdigen weiß, das aber immer den genauen Marktwert kennt. Auch er steht für die moderne Wirtschaft und ihre Orientierung am Tauschwert, anstatt einfach ein Wesen aus alten Mythen zu sein. Er ist außerdem eine Kampfmaschine, der Menschen und Zwerge hilflos ausgeliefert sind (14) .
Zwerge sind dagegen Handwerker, die Werkzeuge, aber keine Maschinen benutzen, und die jedes einzelne Stück in liebevoller Arbeit herstellen (und beim Durchsuchen des Drachenschatzes einzelne Gegenstände dementsprechend würdigen können.) Die Technik im Inneren des Berges stellt daher einen Anachronismus dar: Maschinen mit Zahnrädern und Schwefelexplosionen passen nicht zu den Zwergen (15) .
Es passt ebenfalls nicht zu den Zwergen, dass sie ihre Maschinerie als Waffe einsetzen. Zwar wollen sie „nur“ einen einzigen Drachen umbringen, aber ihre Methoden (Flammen, brennende Objekte, die geworfen werden) wären doch geeignet, auch mehrere Menschen auf einmal umzubringen.
In Tolkiens Büchern benutzen die Guten solche Waffen nicht. Sie kämpfen mit Schwertern und Äxten und Pfeil und Bogen, also mit Waffen, mit denen man nur einen Menschen auf einmal umbringen kann. Individuelles Heldentum und individuelle Geschicklichkeit sind noch von Bedeutung, etwa wenn Bard den Drachen erschießt. Außerdem werden die Opferbereitschaft und Standhaftigkeit der einfachen Soldaten gelobt, etwa Bards Getreue bei seinem „last stand“ gegen den Drachen, oder eben Thorins Angriff während der Schlacht der Fünf Heere, der mit einer viel zu kleinen Anzahl von Angreifern erfolgt, die aber umso entschlossener und standhafter kämpfen und bereit sind, für Thorin zu sterben. Aber Opferbereitschaft und Standhaftigkeit können sinnlos sein, wenn es gegen einen übermächtigen Gegner oder gegen überlegene Technik geht: Im Film zeigt dies der Prolog des ersten Films, als die Zwerge gegen Smaug marschieren und einfach niedergetrampelt werden.
2.3 Was hätte sein können
Im Buch steht den Zwergen die Technik des Erebor nicht zur Verfügung. Tolkien hat eine Welt geschaffen, in der es die modernen Waffen des Ersten Weltkriegs noch nicht gab, so dass individuelles Heldentum, strategisches Geschick und Durchhaltekraft noch von Wert waren (16) . Auch gegen den Drachen gibt individuelles Heldentum den Ausschlag: Bard ist ein Held, wie es sie angeblich (siehe erstes Kapitel des Hobbit) nicht mehr gibt, und er gewinnt den Sieg über den Drachen. In einem Punkt unterscheidet er sich allerdings von den Helden aus den alten Geschichten: Er ist vorsichtig und ergreift nicht von sich aus die Initiative, den Drachen zu besiegen, sondern kämpft erst, als die Konfrontation unausweichlich ist.
Im Film wird Bard im Vergleich zum Buch aufgerüstet, mit dem Effekt, dass auch ihm nicht nur Heldenmut und Nervenstärke, sondern auch überlegene Technik zur Verfügung steht: Er kämpft nicht mit einem einfachen Langbogen, sondern mit einer „Windlanze“, einer Art Ballista oder fest montierter Armbrust, deren Durchschlagskraft viel höher ist als die eines gewöhnlichen Pfeils. Man kann mit ihr auch leichter zielen als mit Pfeil und Bogen, aber es dauert länger, sie zu spannen, dafür braucht man weniger Kraft. Technischen Fortschritt und Aufrüstung durch verbesserte Waffen gibt es nicht erst seit der Industrialisierung – und Waffen, bei denen die Geschicklichkeit des einzelnen nicht mehr den Ausschlag gibt, hat es schon vor der Entwicklung der Feuerwaffen gegeben. (Armbrüste waren im Spätmittelalter die Waffe der Städter, die keine spezialisierten Kämpfer waren.)
Bards Heldentum wird teilweise durch die Kampfszenen im Erebor entwertet: Es gibt nun eine bessere Methode, den Drachen zu besiegen, nämlich das Ungeheuer, dessen Zerstörungskraft der von modernen Waffen gleicht, auf der gleichen Ebene, nämlich mit Technik zu besiegen. Thorin scheitert zwar, aber sein Scheitern ist nicht logisch zwingend: er scheitert nicht wegen Fehlern in seinen Plänen, sondern weil er keinen Erfolg haben darf. Seine Pläne sind ziemlich gut, und außerdem hat er Gelegenheit, sich als Held zu beweisen. (Tatsächlich ist er schon bis zu dieser Szene viel heldenhafter, als er jemals im Buch war. Im Buch wird mehrfach betont, dass Zwerge keine Helden sind.) Bei allen Aktionen der Zwerge übernimmt er die riskanteste Aufgabe, ohne dabei leichtsinnig zu werden: immer weiß er, wie er sich in Sicherheit bringt, wenn es ernst wird. Auf seine Akrobatikeinlagen hätte ich verzichten können – er ist ein Zwerg, kein Elb – aber wie er in der Eile den Kampf organisiert, ist beeindruckend.
Er muss schon vor dem Betreten des Erebor von der Schmiede gewusst haben, und es stellt sich die Frage, warum er sie nicht in seine Pläne einbezogen hat, sondern davon träumt, Smaug mit Hilfe der Zwerge aus allen Sieben Königreichen zu besiegen. Ein in Ruhe ausgearbeiteter Plan (mit einer B- und C-Version) hätte Erfolg haben können, und vielleicht hätte er die Menschen in Seestadt einschließlich Bards überzeugen können, diesen Plan aktiv zu unterstützen. Die Frage, wie man mit dem Drachen umgehen soll, ihn bekämpfen oder ihn möglichst in Ruhe lassen, damit er nicht noch mehr Schaden anrichtet, hätte sich auf eine andere Weise gestellt, wenn es einen realistischen Plan gegeben hätte, den Drachen zu besiegen. Allerdings hätte sich ein solcher Plan gegen Tolkiens Kritik am technisierten Krieg gewendet.
Im Prinzip ist bedeutet aber schon das Aufzeigen der Möglichkeit, dass Smaug durch Technik besiegt werden könnte, eine Entwertung von Bards Heldentat, die am Anfang des nächsten Films stehen wird. In meinen Augen haben die Zwerge ihm jetzt schon die Show gestohlen.
3 Der Schachspieler mit den weißen Figuren
Das Rededuell zwischen Bard und Thorin – Ende einer längeren Sequenz, in der die Zwerge und Bilbo Bard kennenlernen, von ihm nach Seestadt geschmuggelt und neu ausgerüstet werden – ist eine der am wenigsten umstrittenen Veränderungen des Films gegenüber dem Buch. Bard taucht nicht mehr während des Kampfes gegen den Drachen quasi aus dem Nichts auf, sondern wird langsam eingeführt, und die Konfrontation zwischen ihm und Thorin ist einer der dramatischen Höhepunkte des Films: Auf der einen Seite der vorsichtige Bard, der kein unnötiges Risiko eingehen will (schließlich muss er für seine Kinder sorgen) und sich so gut es geht mit Meister und Drachen arrangiert, ohne deswegen feige oder angepasst zu sein, auf der anderen Seite Thorin, der zum Erebor zieht, ohne einen Plan zu haben, wie er den Drachen besiegen will, besessen von seiner Idee, sein Gold zurückzugewinnen. Thorin trägt den Sieg aus dem Rededuell davon, indem er den Seestädtern Versprechungen macht, die er (wie diejenigen, die das Buch kennen, wissen), nicht einhalten will, nämlich dass alle am Reichtum Erebors teilhaben werden. (Wer genau hinhört, wird allerdings merken, dass er nicht einfach ankündigt, den Schatz zu teilen, sondern dass er einen Wirtschaftsaufschwung verspricht, wenn die Handelswege nach Norden und womöglich auch nach Westen offen sind und Seestadt kein verlorener Außenposten mehr ist.) Goldgier gegen Vorsicht und den Wunsch, Menschenleben zu schützen – das Urteil scheint einfach. Thorin ist unvernünftig, gierig und viel zu risikofreudig, während Bards Stimme die Stimme der Vernunft ist. Allerdings stellt der Prolog dieses Urteil in Frage.
Beim Prolog des Films handelt es sich um eine Veränderung, die schon von Tolkien selbst vorbereitet wurde. In den Anhängen zum Herrn der Ringe und in „Nachrichten aus Mittelerde“ finden sich Berichte von einer Begegnung zwischen Gandalf und Thorin, in der sie über Pläne sprechen, den Drachen zu besiegen und den Erebor zurückzugewinnen. Gandalf unterstützt Thorins Träume und sorgt dafür, dass sie zu Plänen werden, die in die Tat umgesetzt werden, und außerdem drängt er Bilbo den Zwergen als vierzehnten Gefährten auf.
Es gibt mehrere Versionen dieser Geschichte, so dass Peter Jackson hier eine gewisse Freiheit hat. Er erzählt diese Episode so, dass Gandalf als Initiator der Fahrt zum Erebor erscheint: Er drängt Thorin, dass er mit einer vereinten Armee der Zwerge aller Zwergenkönigreiche zum Erebor aufbricht, um den Drachen zu besiegen. Thorin führt verschiedenen Gründe auf, warum dies unmöglich sei, aber Gandalf drängt weiter und macht Thorin klar, dass diese Unternehmung keinen Aufschub duldet, weil ein Preis auf seinen Kopf ausgesetzt sei. Am Ende steht ein Plan, der deutlich realistischer und konkreter ist als die Pläne der Zwerge im Buch (irgendwie bis zur „Türschwelle“ gelangen und dort dann weitersehen.) Mit Hilfe eines Meisterdiebs soll Thorin den Arkenstein zurückgewinnen, so dass ihm die Zwerge der anderen Königreiche folgen werden. (Allerdings ist nicht klar, wie eine noch so große Zwergenstreitmacht Smaug besiegen kann.)
Von seinen eigenen Motiven, den Drachen zu besiegen, spricht Gandalf nicht: Sein Ziel besteht darin, dass der Drache besiegt wird, so dass er von Sauron nicht gegen die wichtigsten Stützpunkte der guten Seite (Rivendell und Lorien) eingesetzt werden kann. Außerdem erklärt er den Zwergen nicht, warum sie gegen alle Vernunft einen Hobbit auf ihre Unternehmung mitnehmen sollen: Gandalf hat das Gefühl, dass dies eine gute Entscheidung sein könnte, aber keine Argumente, die die Zwerge überzeugen, so dass er am Ende gehörigen Druck auf sie ausübt.
Thorins Motivation ist gegenüber dem Buch in verschiedener Hinsicht verändert. Es geht ihm nicht mehr nur um das Gold des Drachenschatzes, es geht ihm auch nicht um das wertvollste Juwel dieses Schatzes, sondern dieses Juwel ist nur noch Mittel zum Zweck Er braucht es, um die Königswürde zurückzugewinnen, denn nur, wenn er das Juwel besitzt, werden die Zwerge der anderen Königreiche ihm folgen. Sein eigentliches Ziel besteht darin, den Drachen aus Erebor zu vertreiben – genau, was Gandalf ihm geraten hat. Er will das alte Zwergenkönigreich wieder errichten – seine alte Heimat zurückgewinnen, die Königswürde, die ihm zusteht, erringen, und nebenbei auch Gandalfs Pläne zur Befriedung des Nordens von Mittelerde befördern. Dass zur Heimat ein Schatz gehört, macht sie umso begehrenswerter, aber der Schatz ist nicht das primäre Motiv. Er wird zwar bei der Versammlung der Zwerge in Bilbos Haus als primäres Motiv genannt, aber in anderen Situationen, in denen im Buch die Gedanken der Zwerge beim Drachenhort sind, (während ihres Aufenthalts bei den Adlern oder in Beorns Haus) redet im Film keiner von ihnen davon. Auch in der Konfrontation mit zwischen Thorin und Thranduil im Film scheint der Elb gieriger zu sein als der Zwerg. Nicht weil er den gesamten Schatz für sich und seine Leute möchte, sondern weil er an seinem alten Groll gegen die Elben festhält, schlägt Thorin den angebotenen Deal aus. Selbst auf der „Türschwelle“ denken die Zwerge im Buch in erster Linie an den Schatz, und außer Balin (und Bilbo natürlich) betritt keiner von ihnen den Tunnel, der in den Berg führt. Dies ist im Film durch eine Szene ersetzt worden, in der wir Balin und Thorin tief bewegt beim Anblick der alten Heimat sehen.
Thorin ist im Film also deutlich weniger leichtsinnig (und planlos) als im Buch, und seine wichtigste Motivation ist nicht mehr Gier nach dem Schatz, sondern Sehnsucht nach der Heimat. Die Entscheidung zwischen ihm und Bard ist nicht mehr einfach die Entscheidung zwischen Vernunft, Vorsicht und Verantwortungsgefühl auf der einen und Leichtsinn, Habgier und Stolz auf der anderen Seite. Tatsächlich gibt es sowohl Argumente dafür, den Drachen in Ruhe zu lassen und zu hoffen, dass er ruhig bleibt; als auch Argumente dafür, gegen ihn anzugehen und ihn zu besiegen, so dass man nicht länger in ständiger Furcht leben muss, und die Entscheidung, welcher von beiden Recht hat, Thorin oder Bard, ist nicht einfach. Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass diejenigen, die von einem Sieg über den Drachen am meisten profitieren würden, nicht dieselben sind, die den Preis für diesen Sieg zahlen müssen. Erforderlich wäre also eine breite gesellschaftliche Debatte, in der die Risiken und Erfolgssaussichten eines Angriffs gegen Smaug diskutiert werden müssten und in der besonderes Augenmerk auf diejenigen gerichtet sein müsste, die die Hauptleidtragenden eines solchen Angriffs wären: Wie kann man sie schützen, und wie kann man materielle Schäden kompensieren?. Eine solche Debatte findet natürlich nicht statt, erstens weil sie nicht zu Mittelerde passt und zweitens, weil sie möglicherweise selbst in der realen Welt eher selten vorkommt. Auch hier lassen sich Menschen von Stimmungen mitreißen und vergessen die Gefahr, und die, die den Preis zahlen müssen, werden in aller Regel nicht gefragt und nicht gehört.
Drittens ist da Gandalf. Wir wissen mittlerweile, dass er einer der Istari ist, ein Maia, der von den Valar geschickt wurde, um den Kampf gegen Sauron zu organisieren, die treibende Kraft im Kampf des Guten gegen das Böse. Dies ist allerdings nicht der Gandalf, den wir im ersten Kapitel des Hobbit kennenlernen:
„Gandalf! If you had heard only a quarter of what I have heard about him, and I have only heard very little of all there is to hear, you would be prepared for any sort of remarkable tale. Tales and adventures sprouted up all over the place wherever he went, in the most extraordinary fashion“
„,Dear me‘, he went on. ,Not the Gandalf who was responsible for so many quiet lads and lasses going off into the Blue for mad adventures?Anything from climbing trees to visiting elves – or sailing in ships, sailing to other shores.‘“
Nicht der Kampf gegen das Böse, sondern Geschichten und Abenteuer sind Gandalfs „Geschäft“, und so passt es zu ihm, dass er von den Zwergen den Auftrag annimmt, für ihr Abenteuer einen vierzehnten Gefährten zu finden (weniger als Meisterdieb als wegen der Glückszahl), obgleich diese keinen realistischen Plan haben, wie sie den Drachen besiegen können, und weil er sich bei seinem morgendlichen Gespräch mit Bilbo über diesen ärgert, beschließt er, dass Bilbo derjenige sein wird, der auf das Abenteuer geschickt wird. Für ihn kommt es nicht darauf an, dass der Drache besiegt wird, sondern darauf, dass es hinterher eine Geschichte zu erzählen gibt, und die gibt es in jedem Fall.
Peter Jackson und sein Team haben sich entschieden, dass Gandalf der weise Maia sein soll, der er im Herr der Ringe ist und als der er in den „Unfinished Tales“ dargestellt wird. Für ihn ist der Sieg über Smaug Teil seiner Strategie, Saurons Macht zu begrenzen und die Bedrohung gegen die Länder des Nordens zu minimieren. Dazu passt, dass er Thorin jetzt mit einem einigermaßen realistischen Plan auf den Weg schickt. Allerdings passt nicht zu seiner Weisheit, wie er Thorin für seine Pläne benutzt. Das Problem besteht nicht darin, dass Gandalf und Thorin unterschiedliche Motive haben, den Drachen zu bekämpfen (dies ist der Fall bei den meisten Formen von Kooperation), sondern dass Gandalf egoistische Motivationen Thorins ausnutzt, die er selbst nicht gutheißt: Rachegelüste, Ehrgeiz, Habgier, Stolz und womöglich auch die Sehnsucht nach der Heimat und das Bestehen auf dem, was er als sein Recht ansieht. Es bedeutet, dass Gandalf zunächst einmal diese Gefühle schüren muss, damit Thorin sich auf den Weg macht, dass er aber hinterher diese Gefühle wieder bändigen muss, was ihm nicht gelingt, da er abwesend ist. Die Katastrophe ist vorhersehbar.
Außerdem denkt Gandalf nur in großen Zügen: Das Böse in Mittelerde muss besiegt werden, und der Drache ist das Böse oder könnte ein Diener des Bösen werden. Dass manche Menschen (in diesem Fall tatsächlich in erster Linie Menschen und keine Zwerge, Elben oder Hobbits) diesen Sieg über das Böse teuer bezahlen müssen und wenig davon profitieren, kümmert ihn nicht: Ihn interessiert nur, dass insgesamt das Böse besiegt wird. Die Fragen, die eigentlich auf der Rathaustreppe hätten diskutiert werden müssen, nämlich wie der Drache besiegt werden soll, wie die Bewohner von Seestadt geschützt werden können, wie diejenigen, die materielle Verluste erleiden, entschädigt werden können – all das interessiert ihn nicht.
Tatsächlich ist der Film hier etwas besser als das Buch einschließlich der „Unfinished Tales“. Dort gibt Gandalf zu, dass der Drache „wider alle Hoffnung“ getötet wurde – eine Expedition zum Erebor ohne Aussicht auf einen Sieg über Smaug ist aber verantwortungslos und passt nicht zu einem weisen Gandalf. Der Plan, den er im Film vorschlägt, nämlich sich auf den Diebstahl des Arkensteins zu beschränken, scheint besser durchdacht, aber auch er setzt die Menschen der Seestadt der Gefahr eines Drachenangriffs aus. Wenn Smaug feststellt, dass der Arkenstein gestohlen ist, er aber den Dieb nicht finden kann, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er seinen Zorn an Seestadt auslässt.
Gandalf wird zum Schachspieler, der andere in seinem Kampf gegen das Böse einsetzt. (17) Er nutzt Thorins eigennützige Ziele für sich selbst aus, und er gefährdet das Leben der Menschen in Seestadt. Bard stellt sich nicht nur gegen Thorin, sondern auch gegen Gandalf, als er davor warnt, den Berg zu betreten. Beides ist gleichermaßen berechtigt.
Anmerkungen
(1) Ich habe sehr viel Zeit auf den Seiten von TV tropes verbracht (http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/HomePage) Dort findet man die wichtigsten Erzählkonventionen aufgelistet. Ich habe nach einer deutschen Übersetzung für das Wort „Trope“ gesucht und werde jetzt zwischen „Erzählkonvention“ und „Motiv“ hin und her wechseln.
(2) Natürlich gibt es auch rote Sterne, etwa Beteigeuze im Orion. Und der Mond ist nur rot, wenn er auf- oder untergeht.
(3) http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/YoungLoveVersusOldHate
(4) http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/FlorenceNightingaleEffect
(5) Einige Kommentatoren bei http://www.herr-der-ringe-film.de haben angemerkt, die Heilungsszene sehe wie eine Sexszene aus. Mir selbst ist das nicht aufgefallen, aber nachdem ich die Szene mit dieser Bemerkung um Kopf noch einmal angesehen habe, muss ich zugeben, dass sie sich so interpretieren lässt.
(6) Mein erster Gedanke, als ich sah, wie Tauriel sich anschickte, Kili zu heilen, war: „Haben die Filmemacher Klaus Theweleit gelesen?“ Ich vermute, dass das nicht der Fall ist, sonst wären sie nicht so naiv in dieses Klischee gestolpert, wie sie es getan haben. Die Assoziation mit den „Männerphantasien“ war für mich dann aber der Hauptgrund, mich näher mit dieser Liebesgeschichte zu beschäftigen. Allerdings denke ich nach dem erneuten Lesen der „Männerphantasien“, dass die Liebesgeschichte zwischen Kili und Tauriel nicht in die Kategorie von Beziehung gehört, die von Theweleit beschrieben wird und die durch die Gleichzeitigkeit von Erotik und Ablehnung von Erotik gekennzeichnet ist, sondern in die Kategorie, in der sich aus der Patient-Krankenschwester-Beziehung eine echte sexuelle Beziehung entwickelt. Es wird auf das Ende der Geschichte ankommen: welche Art von Beziehung und welche Art von Tod wählen die Filmemacher für das Liebespaar.
(7) Tolkien selbst hatte mit diesem verqueren Frauenbild nichts zu tun. Er hat seine Frau Edith geheiratet, bevor er in den Krieg zog (und nicht etwa erklärt, er sei ihrer nur wert, wenn der Krieg gewonnen sei, wie einige der Soldaten, von denen Theweleit berichtet, die dann 1918 natürlich ein Problem hatten), und als er gegen Ende der Schlacht an der Somme an Grabenfieber erkrankte und den Rest des Krieges in Lazaretten in England verbrachte, bedauerte er nicht, dass er nicht bei seinen Kameraden war, sondern ließ sich von seiner Frau besuchen, die während dieser Zeit auch prompt schwanger wurde. Die Szenen, die ihn zur Geschichte von Beren und Luthien inspirierten – sie tanzte und sang für ihn – stammen aus jener Zeit. (Nachzulesen in der Biographie von Humphrey Carpenter und in „Tolkien and the Great War von John Garth.)
(8) Das erste Zitat stammt aus dem Kapitel „The King of the Golden Hall“, das zweite aus dem Kapitel „The Houses of Healing“.
(9) Auch hier ergibt sich wieder ein Problem dadurch, dass die Filmemacher nicht konsequent darüber nachgedacht haben, wie sich eine solche Verbindung zwischen Zwerg und Elbin auf den Rest des gesamten Tolkien-Kosmos auswirkt. Es kommt in Tolkiens Universum zwar vor, dass eine Elbin einen Menschenmann liebt, aber solch eine Verbindung ist erstens etwas sehr seltenes und damit besonderes,und zweitens wirft sie immer die Frage nach Sterblichkeit und Unsterblichkeit auf. Eine Verbindung zwischen einer Elbin und einem Zwerg würde diese Frage in noch stärkerem Maß aufwerfen, und sie würde die „kanonischen“ Verbindungen zwischen Menschen und Elbinnen entwerten. Einfach eine Erzählkonvention vom Dachboden zu holen, weil sie cool zu sein scheint, rächt sich hier also: Sie passt nicht zum Ganzen. Dennoch hoffe ich, dass Tauriel Kili nicht zurückweist.
(10) Die Männerbünde im Hobbit und Herrn der Ringe werden immer wieder hervorgehoben und auf Tolkiens Kriegserfahrungen zurückgeführt, ohne aber problematisiert zu werden. Sie müssten aber problematisiert werden: Wenn eigenständiges moralisches Urteil durch Loyalität zur Gruppe ersetzt wird, kann dies katastrophale Folgen haben. Gerade im Hobbit kritisiert Tolkien diese Loyalität: Bilbo wird durch seinen „Verrat“ zum Helden.
(11) Insbesondere hoffe ich, dass die Heilungsszene nicht die einzige Sexszene bleibt. Natürlich soll der Film FSK12 beziehungsweise PG13 bleiben, aber ein paar intensive Küsse zwischen den beiden sollten Jugendlichen zugemutet werden können, und nach diesen Küssen sollte sich das Paar vom Rest der Gesellschaft zurückziehen, so dass alle sich ausmalen können, was sie tun.
(12) In “Guards Guards” von Terry Pratchett wird die Szene parodiert. Die Wachen versuchen, einen Drachen zu treffen, und sie wissen, dass die Chance sehr gering ist, aber wenn sie exakt eins zu einer Million ist, dann wird es ihnen nach den Regeln des Geschichtenerzählens gelingen. Am Ende ist die Chance nicht genau eins zu einer Million.
(13) Gold hat fast die zwanzigfache Dichte von Wasser. Unterhalb von einem Meter flüssigen Goldes herrscht also der gleiche Druck wie in zwanzig Meter Wassertiefe, und unter dem Bauch des Drachens müsste der Druck entsprechend größer sein. Ich weiß nicht, wie ein Lebewesen von Smaugs Größe, das normalerweise in der Luft lebt, einen solchen Druck aushalten kann.
(14) John Garth behauptet, dass die Drachen, die beim Angriff auf Gondolin von Morgoth eingesetzt werden, mehr Ähnlichkeit mit modernen Waffen als mit mythischen Kreaturen hätten. Dies treffe besonders auf diejenigen zu, aus denen Orks entsteigen, als wären die Drachen gepanzerte Fahrzeuge.
(15) Tatsächlich wurden mit Wasserkraft betriebene mechanische Schmiedehämmer schon im Spätmittelalter eingesetzt. Die in den Öfen entstandenen Luppen (Roheisenklumpen) waren so groß geworden, dass es einfach nicht mehr möglich war, sie mit der Hand zu schmieden. Die Grenze zwischen „von Hand mit Werkzeug“ und „mit Maschinen“ ist weniger einfach zu ziehen, als es zunächst scheinen mag. Schon gar nicht ist es möglich, eine Jahreszahl anzugeben.
(16) Der Erste Weltkrieg wurde von den Zeitgenossen und wird auch heute noch als erster technisierter Krieg angesehen, in dem alte ritterliche Tugenden keinen Platz mehr hatten. (Allerdings hatte sich diese Entwicklung schon im Amerikanischen Bürgerkrieg angedeutet. Und beim Lesen des Texts „der Begriff des Politischen“ von Carl Schmitt habe ich einen Hinweis auf einen Text gefunden, der schon zur Zeit der Napoleonischen Kriege beklagt, dass durch die damals moderne Artillerie persönlicher Mut und Kampfesfreude sinnlos wurden.) Er war vor allem dadurch gekennzeichnet, dass Artillerie und Schusswaffen (Maschinengewehre!) eine Perfektion erreicht hatten, die es der Infanterie unmöglich machten die feindlichen Linien im Sturm zu überrennen. Auch in vorangegangenen Kriegen sind schon Infanteristen in Kanonenhagel und in die Kugeln des Gegners hineingeschickt wurden, aber damals war beides zu ineffektiv, um die Angreifer aufzuhalten. Im Ersten Weltkrieg führten solche Angriffe zu Desastern und trotz hoher Opferzahlen nie zu einem Durchbrechen der Front, sondern im besten Fall dazu, dass sich die Verteidiger einige Kilometer zurückziehen mussten. Die Befehlshaber auf beiden Seiten brauchten längere Zeit, um das zu begreifen und neue Strategien zu finden.
(17) Im „Herrn der Ringe“ benutzt Gandalf selbst das Bild vom Schachspiel in einem seiner Gespräche mit Pippin (Kapitel „Minas Tirith). Er hat keine Bedenken, Pippin als „Bauern“ zu bezeichnen. Ob er sich selbst als Schachspieler oder als Königin sieht, ist unklar.
Ich finde es schwierig, Gandalfs Motive so klar zu benennen. Der Film verlegt die Episode seiner Gefangenschaft durch den Hexenmeister zeitlich parallel zur Wanderschaft zum Erebor. Während zu begrüßen ist, dass seine Abwesenheit dadurch einen konkreten und guten Grund erhält, erfährt er ja eindeutig erst dort, dass der Hexenmeister der wiedergekehrte Sauron ist. Trotz aller dunkler Vorahnung kann er die Rolle des Drachen dann doch kaum so genau vorhergesagt haben. Es ist nicht ersichtlich, warum Gandalf im Drachen jetzt eine konkretere Gefahr sehen sollte als zweihundert Jahre zuvor. (Abgesehen davon, dass er nun kaum während der Gefangenschaft Thorins Vater treffen und die Karte zum Erebor erhalten kann.)
Was mich gewundert hat, ist nicht so sehr die Verwendung von Tropes in den zur Handlung des Buchs hinzugefügten Elementen, sondern die Beschränkung auf Tropes, die schon *in den Herr-der-Ringe-Filmen* waren. Du hast die Heilszene angesprochen, Gandalfs Gefangenschaft käme dazu, der Berater des Meisters der Seestadt spiegelt Schlangenzunge, Thranduil Denethor…
Die naheliegendste Erklärung wäre, dass die Macher ihr Publikum nur mit genau mit den Dingen locken wollen, von denen sie schon wissen, dass sie funktionieren. Ein etwas ambitionierterer Gedanke wäre, aufzuzeigen, dass in Tolkiens Welt Erzählmuster oft wiederholt werden und die Mythologie in vielen Punkten zirkulär ist – was sicher stimmt, wenn auch nicht unbedingt mit diesen recht kleinteiligen Episoden. Dann wäre sicher auch die äußerliche Ähnlichkeit zwischen Thorin und Aragorn sowie Bard, Eomer und Legolas beabsichtigt.
Vieles, was mich beim Schauen des zweiten Films gestört hat, könnte sich als Aufbau der und Hinleitung zur Schlacht der fünf Heere geeignete Strategie erweisen. Die Marginalisierung der Drossel gehört sicher nicht dazu 😉
Während ich dir hinsichtlich der problematischen Aspekte einer Mechanisierung in Tolkiens Welt uneingeschränkt recht gebe, denke ich, die erzählerische Funktion der montierten Armbrust ist eher, die Tötung des Drachen als gemeinsamen Erfolg darzustellen: es ist eine zwergische Waffe, Bards Vorfahr hat bereits mit ihr den Drachen bekämpft, seine Kinder (und die Zwerge?) helfen ihm dabei, sie zu erreichen.
Mein Vorwurf ist auch nicht, dass Tropes verwendet werden – es geht ja nicht ohne, und wenn man denkt, man hätte etwas ganz neues gefunden, stellt man in aller Regel fest, dass es uralt ist – sondern die Gedankenlosigkeit, mit der das geschieht. Die Filmemacher suchen sich aus, was sie „cool“ finden und was ihnen kurzweilig scheint und einen hohen Schauwert hat und außerdem, was irgendwie dramatisch wirkt. Sie denken ihre Veränderungen aber nicht durch. Ich könnte meine Kritik noch harscher formulieren: Wenn man ein Buch verfilmt, müsste man eine Idee davon haben, was dieses Buch ausmacht, was es aussagt oder worum es eigentlich geht. Der Hobbit ist zwar „nur“ ein Kinderbuch, aber ein ziemlich intelligentes Kinderbuch. Das Filmteam wollte die Geschichte ernster machen, indem sie die Handlung aus dem Hobbit zu einem integralen Teil des Kampfes Gut gegen Böse im HdR macht, anstatt sie als eigenständige Geschichte zu sehen, aber dadurch wird die Geschichte flacher statt tiefer.
Man verändert die Geschichte, aber man schaut nicht, welche Auswirkungen dies fürs Ganze hat.
Gandalfs Motive: Wie gesagt, das Problem steckt schon in den Veränderungen in den Anhängen zum HdR und in „Nachrichten aus Mittelerde“, es ist also nicht allein Peter Jacksons Schuld. Im Grunde ist die ganze Reise zum Erebor eine so schwachsinnige Idee, dass das Motiv „Wenn ich diesen unbedarften Zwergen Bilbo als Meisterdieb verkaufe, kommt bestimmt eine spannende Geschichte bei raus“ tatsächlich am ehrenwertesten ist. Du hast jetzt einen weiteren Widerspruch aufgezeigt: Warum ist der Drache jetzt gefährlicher als vor 200 Jahren, wenn Gandalf nicht klar ist, dass der Nekromant Sauron ist.
Die Wiederholung von Tropes aus HdR ist mir gar nicht so sehr aufgefallen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich die HdR-Filme nicht mehr so in Erinnerung habe. Warum ich bei den Büchern die Wiederholungen besser akzeptiere, weiß ich nicht. Vielleicht ist die „Kleinteiligkeit“ tatsächlich der wichtigste Grund: Dass Einzelheiten in den Film hineingenommen werden, statt sich um die Linie zu kümmern.
Eine erfrischend vermittelnde Besprechung, die das Buch einbezieht ohne es zum Maßstab aller Dinge zu machen. Interessant zu lesen!
Danke!
Das war sehr interessant, vielen Dank!
danke!
Hallochen,
hoffentlich kommen Tauriel und Kili zusammen! Das wäre so ein schönes Symbol für jede Liebe in unserer Gesellschaft von optisch ungleichen Paaren.
Madleine
Optisch ungleich, oder aus unterschiedlichen Schichten, oder unterschiedlichen sogenannten „Rassen“…
Ich muss aber gerade diesem „optisch ungleichen“ Argument widersprechen. Mich hat es im Film aufgeregt, dass Tauriel sich natürlich in genau den einzigen Zwerg verliebt, der nach heutigen Maßstäben „aufgehübscht“ wurde. Warum nicht in einen dicken Zwerg mit Bart? Verdienen die keine Liebe? Fühlen die keine Begierden nach einer hübschen, schlanken Frau? Nein … diese Zwerge müssen natürlich ausschließlich für das Trink-, Fress- und Tollpatsch-Klischee hinhalten. Vermutlich bekommen sie eine ebenfalls „dicke Zwergin“ und der einzig schlanke, männlich angehauchte Charakter verdient auch einzig und allein die hübsche, schlanke Elbin.
Das ärgert mich, denn das macht diese Liebe für mich ebenso klischeehaft und unauthentisch, wie es in den meisten Hollywood-Filmen inszeniert wird.
Daran habe ich natürlich noch nicht gedacht, aber du hast natürlich recht. Das einzige Gegenargument, das mir einfällt, ist, dass die anderen Zwerge (Bombur, Gloin) möglicherweise schon verheiratet sind, aber das zieht nicht für alle. Ori ist bestimmt nicht verheiratet. Ori hätte auch eine Elbin bekommen können. (Andererseits, ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob sie mit Zwerginnen nicht besser dran sind. Elben sind zwar hübscher, aber mit Zwerginnen kann man auch mal in die Kneipe gehen und bis zwei Uhr nachts saufen, sie kommen mit zum Fußballspiel des Lieblingsvereins und schreien noch lauter als man selbst, wenn ein Tor fällt, und vielleicht kann man mit ihnen auch mal den neuesten Ego-Shooter spielen. Vor allem lachen sie mehr als Elben.)
Was ebenfalls traurig ist: dass die Zwerge bei Tolkien praktisch keinerlei Persönlichkeit (mit Ausnahmen wie Thorin, Balin und möglicherweise Kili und Fili) und dass es Peter Jackson auch nur bei wenigen (Bofur, Dwalin) gelingt, ihnen eine Persönlichkeit zu geben, obgleich Tolkien ihnen keine gegeben hat. Ich bin bei der Hobbitcon gewesen und habe einige der Schauspieler dort erlebt, sie sind ziemlich coole Typen, und Peter Jackson hat sie nur mit superschwerer Ausrüstung durch die Gegend rennen lassen. Bombur hat in zwei Filmen nichts gesagt.
Schöner Beitrag; zur Zeit schauen wir „Der Hobbit“ auf DVD. Gestern haben wir „Smaugs Einöde“ gesehen, übermorgen kommt der letzte Teil an die Reihe. Ach ja, die Beziehung zwischen Tauriel und Kili. Mir gefällt der Gedanke der Wärme und Zuneigung, die Tauriel von Kili erfährt, nicht von Legolas. Einen Schwiegervater wie den Vater von Legolas möchte ich nicht geschenkt haben; mir ist dieser Charakter äußerst unsympathisch. Mich fröstelt bei seinem Auftreten, das mich unfreilwilig an das von Lucius Malfoy erinnert. A propos erinnert: vielleicht sehe ich weiße Mäuse, aber mir kommt Tauriel wie ein Hybrid aus Arwen und Eowyn (meine Lieblingsfigur) vor.
Und was das Erlegen von Smaug durch Technik angeht, hatte ich die Idee, dass sich Bilbo unsichtbar machen könnte, um dann von oben in die Nähe der fehlenden Schuppe zu gelangen, während die Zwerge Smaug ablenken. Und dann könnte Bilbo mit dem schwarzen Pfeil zustechen. Oder würde auch „Stich“ genügen? Ich bin mir da nicht so sicher.
LG
Ulrike
Vielen Dank! Es ist natürlich etwas seltsam, einen Kommentar zu einem Text zu erhalten, den ich vor zwei Jahren geschrieben habe. Da ich „Smaugs Einöde“ nicht wirklich gut fand, bin ich im Moment auch ein wenig „draußen“. Thranduil ist durch den Film tatsächlich als unsympathische Figur gezeichnet; im Buch kommt er sympathischer rüber. An Lucius Malfoy habe ich nicht gedacht, aber der könnte wirklich Pate gestanden haben, und Tauriel als Mischung aus Eowyn und Arwen könnte auch passen (nur ohne gutes Ende – die Szenen zwischen Eowyn und Faramir gehörten immer zu meinen Lieblingsszenen in Herr der Ringe.) Aber dass sie überhaupt ein Hybrid ist, erscheint mir plausibel: Das Team um Peter Jackson und Philippa Boyd scheint mir keine Figuren erschaffen, sondern Klischees zusammengerührt zu haben. Wenn dir noch mehr einfällt – warum nicht? (Ich bin keine Literaturwissenschaftlerin, aber so viel ich weiß, ist die moderne Vorgehensweise beim Analysieren von Literatur nicht die, dass man sich fragt, was die Autoren sich gedacht haben mögen, sondern einfach schaut, was Eingang gefunden hat, ob beabsichtigt oder nicht.
Was Smaug anbelangt: Ich glaube, mich zu erinnern, dass in der Biographie von Tolkien (von Humphrey Carpenter) steht, dass Tolkien zunächst erwogen habe, Smaug von Bilbo erstechen zu lassen, dass er dann aber gemerkt habe, dass das nicht zu Bilbo passt. Meine Deutung ist die, dass Tolkien sich in die Klemme geschrieben hatte: Ein Meisterdieb zeichnet sich in den traditionellen Erzählungen dadurch aus, dass es ihm gelingt, etwas zu stehlen, was extrem gut bewacht ist, ohne dass der Besitzer es merkt, etwa einen Gegenstand, den der Besitzer unter dem eigenen Kopfkissen aufbewahrt. Wenn die Geschichte sich so entwickelt hätte, wie sie im ersten Kapitel angelegt ist, hätte Bilbo sich dazu einen Trick überlegen müssen. Der Ring hätte ihm möglicherweise sogar einen solchen Trick erspart. Das Problem ist nun aber, dass der Schatz viel zu groß ist, um ihn auf diese Weise fortzuschleppen (den Arkenstein hätte man einzeln stehlen können, und dann hätte Thorin ihn nutzen können, die Heere der Sieben Zwergenkönigreiche zu versammeln, wie im Film angedeutet, aber dann wäre es eine andere Geschichte geworden), sondern den ganzen Schatz erhält man nur, indem man den Drachen tötet. Damit hat Tolkien aber das Genre gewechselt: in einer Schelmengeschichte wird das Opfer nicht getötet, sondern bleibt am Leben und ärgert sich, dass es überlistet wurde. Wenn der Drache getötet werden muss, dann ist er im Genre der heroischen Erzählungen gelandet, und dazu braucht er einen Menschen, keinen Zwerg oder Hobbit. (Er hat sich Thorin auch nicht jung und gutaussehend vorgestellt.)
Vielen Dank für deine ausführliche Antwort; dass Du den Text schon vor so langer Zeit geschrieben hast, war mir gar nicht bewußt. Ich hatte ihn nur beim Stöbern entdeckt und war angetan von Deinen Ausführungen zu dem Hobbit, weil wir – wie gesagt – gerade die Filme schauen (ins Kino haben wir es damals nicht geschafft). Hm, Literaturwissenschaftlerin bin ich auch nicht – ich gehe eher unbedarft an solche Bücher heran, oft auch Jahre später als zu dem Zeitpunkt, wo sie der große Verkaufserfolg sind. Aber ich meine, mich erinnern zu können, irgendwo gelesen zu haben, dass Tolkien (ich bin da wie gesagt, kein Experte) etwas gegen geschichtliche Vergleiche und Allegorien hatte.
Da ich gerne Fantasy und gruselige Filme schaue, ziehe ich da natürlich unwillkürlich Vergleiche. Und teilweise hatte ich den Eindruck, dass Szenen aus „Herr der Ringe“ recycelt wurden. Aber das ist nur so ein Gefühl.
LG
Ulrike
Im Vorwort zum Herr der Ringe hat Tolkien geschrieben, dass er Allegorien und historische Vergleiche nicht mochte, aber durchaus für Anwendbarkeit zu haben war. Das Filmteam hat den Hobbit aufgeblasen und aus einem Kinderbuch mit einer gehörigen Portion Ironie ein Fantasy-Epos gemacht, das eine ebenbürtige Vorgeschichte zum Herrn der Ringe sein sollte – und da sie nicht besonders originell sind, haben sie sehr viel bei sich selbst abgekupfert. Ich betrachte mich nicht mehr als dem Fandom zugehörig – wenn du nach Seiten richtiger Fans suchst, wirst du noch viel mehr Anleihen finden. Hier ist die „grüne Hölle“, so genannt wegen der heftigen Auseinandersetzungen, da findest du bestimmt vieles: https://www.herr-der-ringe-film.de/v3/de/index.php
lg, Susanna
Vielen Dank, das klingt interessant – werd‘ ich mal reinschauen
Ich finde das das mit Tauriel und Legolas hätte funktionieren können.
Meinen Glauben nach siegt die Liebe meistens immer.
Ich bin schließlich auch ein Legolas und ein Tauriel Fan…
Ich währe für Legolas und Tauriel.(nichts gegen die anderen)
Und das mit Draco Malfoy und Thranduil stimmt.(lach)
hui, auf den alten kommentar hast du geantwortet? das find ich sehr nett. Den Hobbit hab ich ja schon ewig nicht mehr gesehen; im Moment haben andere Geschichten Vorrang.